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Hyundai Ioniq

Fahrbericht Hyundai Ioniq 6: Prophezeiung erfüllt

Aus der Studie „Prophecy“ wurde der Ioniq6. Mit dem tastet sich Hyundai in die obere Mittelklasse zurück – mit 800-Volt-Technik, Sparsamkeit und spannendem Preis

fahrbericht hyundai ioniq 6: prophezeiung erfüllt

(erschienen bei VISION mobility von Gregor Soller)

Hyundais „Prophezeiung“ in Gestalt der Studie „Prophecy“ wurde Wirklichkeit – in Gestalt des Ioniq 6. Sein cW-Wert ab 0,21 gehört zu den besten im Pkw-Seriensegment. Wenngleich er den Ioniq 6 optisch ein bisschen zur „traurigen Auster“ macht: Gegenüber den Urskizzen und der Studie „Prophecy“ lies das Serienmodell optisch ein bisschen Federn, fährt sich aber trotzdem gut.

Der Ioniq 6 fährt sich merklich aktiver als der Ioniq 5

Womit wir die tresorartig ins Schloss fallende Tür schließen und starten. Und die Navigation starten. Die beim Ioniq 5 lange vermisste Routenplanung mit Ladestopps haben sie ebenso einprogrammiert wie sie ihm das harte Anfedern auskonstruiert haben. Nummer sechs fährt sich deutlich aktiver wie Nummer fünf, bietet verschwenderisch Platz bis auf den Kopfraum im Fond, der prinzipbedingt ab 1,85 Meter Größe etwas niedrig wird. Leider ging sich konstruktiv auch keine große Heckklappe aus, weshalb der Ioniq 5 klar das praktischere, aber eben weniger fahraktive Auto bleibt.

Wir sind in der Topversion in der First Edition unterwegs, mit 239 kW (325 PS in alter Währung) leistet und üppige 605 Nm Drehmoment bietet. Mehr als genug im Alltag, weshalb wir bald in den „Eco-Mode“ wechseln. Offiziell kommt man laut Hyundai so bis zu 583 Kilometer weit – in kalter spanischer Landschaft um Madrid herum verbrauchten wir netto 16,7 kWh/100 km – Hyundai nennt je nach Radgröße zwischen 15,1 und 16,9 kWh/100 km – liegt so weit weg also nicht. Brutto mit Ladeverlust landet man so bei günstigen 18,4 kWh. Und dank 800-Volt- Technik hat man den „Streamliner“ im Idealfall binnen 18 Minuten wieder von zehn auf achtzig Prozent geladen. Womit der Ioniq 6 die Kernkompetenzen der Elektromobilität kompetent vertritt und zudem mit acht langen Jahren Garantie krönt. Weshalb sich die für Deutschland geplanten 5.500 Einheiten für 2023 leicht absetzen lassen dürften.

Konzernbekannte kleine Bedienschwächen blieben

Fahrkomfort und Platzangebot konnten uns überzeugen, doch wenn man sich etwas länger mit dem Ioniq 6 beschäftigt, fallen natürlich auch manche Details auf, die überraschen – nicht immer positiv. Dazu gehören die Außenspiegelkameras, die einfach nicht besser sind als die herkömmlichen Spiegel, weshalb man ihren Sinn anzweifeln darf. Oder die Sitz- und Lenkradheizung, für die man immer in die dritte(!) Ebene muss, um sie zu aktivieren – wieviel einfacher wäre hier einfach ein Taster? Zumal man die Klimatisierung komplett und das Audio anteilig just noch damit bedient. Ähnlich aufwändig verstellt man das Head-Up-Display, welches für große Fahrer selbst in niedrigster Stellung immer noch zu niedrig ist. Und wenn die ihre Sitze vorn ganz nach unten stellen, sind diese zu niedrig, las dass die Fahrgäste im Fond ihre Füße noch darunter schieben könnten. Eine Unsitte, die sich der Ioniq 6 mit mittlerweile vielen Fabrikaten teilt.

Und nach wie vor bleiben ein paar Unstimmigkeiten in der Bedienung der Zentralscreen: So sind Karte und Navi nach wie vor getrennt und wenn man auf Ersterer zoomen möchte, setzt der Ioniq 6 stattdessen immer einen Setpoint in der Navigation. Und wenn man sich mal zu den Radiosendern durchgearbeitet hat, kommt man wegen dem Verlust des „Home-Häuschens“ eine Idee zu umständlich ins Hauptmenü zurück.

Nachdem diese nicht immer ganz flache reibungslose Bedienphilosophie auch bei Kia und Genesis zu finden ist, mit denen wir teils noch viel länger unterwegs waren, können wir aus Erfahrung sagen: Nein, man gewöhnt eher nicht an diese Philosophie: Flachere Menüs und mehrere Wahlmöglichkeiten, die auf der ersten Bedienebene liegen, würden hier helfen.

Gelungen und geschickt gespart: Die Gestaltung des Innenraums

Dafür bietet der Ioniq 6 in den Tiefen seines Menüs wirklich viele Einstellmöglichkeiten. Dazu kommen viele Innenraumfarben, die elegant die reduzierte und futuristische Türtafel beleuchten, deren gelungene Gestaltung den Zuziehgriff geschickt integriert und eine Ausführung fast komplett in hartem Kunststoff ermöglicht.

Einzige Krux daran: Die Fensterheber mussten wie bei den älteren DS-Modellen in die Mittelkonsole wandern, wo Hyundai bewusst mit recyclierten Kunststoffen spielt. Doch während DS haptisch schon Richtung Oberklasse zielt, merkt man dem Ioniq 6 seine festen Wurzeln in der Mitteklasse an: Der Dachhimmel ist über der Frontscheibe einfach abgeschnitten, die Hauben sind innen nicht decklackiert und die Kofferraumscharniere sind aus wild aussehenden funktionellen Halbzeugen zusammengesetzt, während der Kofferraum selbst mit preiswertem Filz ausgelegt ist. Und nachdem Hyundai auch den Ioniq 6 nur mit Kunstleder und Kunststoffen ausgeschlagen hat, würde ein bisschen echter Stoff für deutlich mehr Wohlbefinden sorgen. Und weil wir grade so am Meckern sind: Für das gigantische Fach unter der Mittelkonsole gibt es woanders bessere Ideen der Einteilung.

Kleinigkeiten fallen angesichts der sonstigen Perfektion umso stärker auf

Aber das sind viele Kleinigkeiten, die angesichts der sonstigen Perfektion des Ioniq 6 eben umso mehr auffallen. Denn wie gesagt: Die Türen schließen wie bei einem Tresor und in Sachen Raumangebot und Leistung rückt der Ioniq 6 dem größeren und mehr Strom brauchenden Mercedes-Benz EQE schon ziemlich dicht auf die Pelle. Und auch gegen den Nio ET5 oder den BYD Dolphin weiß er sich durchaus in Szene zu setzen, ebenso wie gegen Teslas Model 3.

Und falls ihnen der formidable cW-Wert mit zu „trauriger“ Optik erkauft wird: Der Kia EV6 schlägt mit großer Heckklappe die Brücke zum noch praktischeren und ebenfalls charakterstarken Ioniq 5. Wer jedoch öfter auch mal zügiger auf langen Strecken unterwegs ist, könnte mit Hyundais „Streamliner“ auch glücklich werden.

Die Brutto-Preise starten bereits bei 43.900 Euro oder 299 Euro monatlich

Zumal die Basisversion mit 53,0-kWh-Akku und Heckantrieb schon ab 43.900 Euro brutto (das sind gut 36.890 Euro netto) startet respektive für 299 Euro im Monat zu leasen ist (bei 8.000 Euro Anzahlung, wovon 6.000 von der Bafa kommen) bei 48 Monaten. Der Hecktriebler mit großem Akku startet mit Dynamiq-Paket ab 54.000 Euro brutto (das sind knapp 45.379 Euro netto), das Allrad-Topmodell mit Techniq-Paket bei 61.100 Euro brutto, das sind knapp 51.345 Euro netto.

Doch schon die „Basis“ ist ziemlich komplett ausstaffiert. Sie soll laut Hyundai bis zu 429 Kilometer Reichweite nach WLTP bieten, wovon real eher um die 300 übrig bleiben dürften.

Die „Idealbesetzung“ dürfte auch hier der große 77,4-kWh-Akku mit Heckantrieb sein, der laut Hyundai nach WLTP bis zu 614 Kilometer Reichweite bietet, von denen real knapp 500 bleiben dürften. Er bietet mit 350 Nm zwar das gleiche Drehmoment wie die Basisversion, aber 168 statt 111 kW (in alter Währung 228 statt 151 PS). Was dann gar keine so muschelig-traurigen, sondern ein sehr erfreuliche Werte sind, zumal auch das 239 kW starke Allrad-Topmodell, das gar 605 Nm Kraft auffährt auch noch bis zu 583 Kilometer nach WLTP schafft, von denen bei uns knapp 500 blieben. Weshalb wir jetzt hier mal prophezeien, dass der Ioniq 6 seinen Weg machen wird und den EV-Absatz bei Hyundai weiter pushen wird.

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