Ferrari

Fahrbericht Ferrari bringt mit Purosangue sein erstes Crossover heraus – das überzeugt, aber nicht in jedem Punkt

Da ist er nun und seien wir ehrlich: er war lange überfällig – sagen die einen. Die anderen, echte Sportwagenfans mit einem eingebrannten Cavallino Rampante im Herzen, hätten auf den ersten Crossover aus dem Hause Ferrari wohl gut und gerne noch ein paar Jahre verzichten können. Puristen reichen Modelle wie 812 GTS, 296 GTB oder Portofino. Doch die Norditaliener konnten sich dem allgegenwärtigem SUV-Trend auch in der Topliga der Sportler nicht noch länger verschließen, ohne Geld zu verbrennen und Kunden zu vergrämen, die sich wohnlich in Range Rover Bentley Bentayga, Lamborghini Urus oder BMW XM einrichten. Und die Diskussion, ob ja, ob nein, oder wieso und überhaupt, wird Mitte des Jahres niemanden mehr interessieren. Denn, wer den Ferrari Purosangue einmal gefahren ist, wird sich schneller in ihn verlieben, als es ihm lieb ist. Trotz seiner Makel, seiner Fehler und weil er eben vieles anders macht als viele andere seiner so engagierten Kollegen.

Denn während die internationale Konkurrenz gerade mit Hochdruck versucht, die eigenen Modellportfolios mit aller Macht auf Elektro zu kämmen, bringt der Autobauer aus Maranello sein SUV-Erstlingswerk mit einem bullig donnernden V12-Saugmotor auf den Markt. Applaus – Applaus! Stattliche 725 PS stark und mehr als 310 km/h schnell will dieser mit elektrischen Dreingaben zumindest antriebsseitig rein gar nichts zu tun haben. Erst einmal zumindest. Ein Elektroantrieb oder zumindest ein Plug-in-Hybrid ist nicht das, mit dem Ferrari seinen ersten Crossover ausstaffieren wollte. Keine Überraschung: der Verbrauch ist daher ein Schlag ins Gesicht aller Ökojünger: 17,3 Liter auf 100 Kilometern –irgendwo muss ein 6,5 Liter großer V12-Sauger seine Leistung ja holen.

Ferrari Purosangue startet bei rund 380.000 Euro

Der Purosangue ist wahrhaft optisch gelungen, gerade von hinten eine echte Schau und die gegenläufig öffnenden Türen stehen ihm als Unterscheidungsmerkmal zur Konkurrenz von Aston Martin DBX, Range Rover, Porsche Cayenne Coupé oder Lamborghini Urus überaus gut, doch da gibt es noch einiges mehr. Wer meint, dass beim Wettbewerb der neue SUV mit dem wiehernden Cavallo auf der Haube über Nacht zum Volumenmodell mutieren würde, der sieht sich getäuscht. Maximal 20 bis 25 Prozent Verkaufsanteil soll er bekommen, damit die Marke eine waschechte Sportwagenmarke bleibt.

Ob das mittelfristig so bleibt, darf bezweifelt werden, denn auch bei Aston Martin, Bentley, Porsche oder Lamborghini wurde die SUV-Liebe schnell zur Sucht und die Verkaufszahlen explodierten. Was an der Verkaufszurückhaltung in Maranello dran sein mag, wird die mittlere Zukunft zeigen, denn einst hatten die Ferrari-Verantwortlichen obligatorisch ausgeschlossen, dass es einmal einen SUV geben würde. Was dagegen spricht, dass der 4,98 Meter lange Purosangue (übersetzt Vollblut) zum Volumenmodell im Hause mutiert, dürfte jedoch der Preis sein. Denn während der direkte Wettbewerb nach Elektrizität hechelt, kostet er kaum mehr als 150.000 bis 250.000 Euro. Der Basispreis des Ferrari Purosangue – bitte festhalten: rund 380.000 Euro – ohne Ledersitze, Navigationssystem und nennenswerte Fahrerassistenzsysteme.

Fahreigenschaften überzeugen auf voller Länge – Bedienung enttäuscht

Da wird selbst vielen Ferrari-Fans der Mund trocken und lechzt nach einem kühlen Chianti. Dabei ist die Bedienung des Purosangue mit einem überfrachteten Lenkrad und fehlendem Zentraldisplay unvorstellbar schlecht – das macht jeder Basis-Dacia ein paar Klassen besser. Drei Bedienebenen allein an der unsichtbaren Hinterseite des Lenkrades, ein wildes Schalter-Wirr-Warr vorne mit überforderter Spracheingabe und einem Navigationssystem, das seine Daten allein vom Smartphone des Fahrers holt – nicht nur in dieser Liga schlicht inakzeptabel. Das wird auch nicht dadurch rausgeholt, dass der Beifahrer ein eigenes Display bekommt oder die Sportsitze gerade vorne klimatisiert und angenehm konturiert sind. Serienmäßig ist der Purosangue-Innenraum übrigens mit schickem Alcantara ausgeschlagen und betört, wenn das Triebwerk einmal in den Hintergrund treten soll, mit ebenso spektakulärem Burmester-Sound. Unglaublich für ein 2024er-Modell: auch bei Fahrerassistenzsystem oder Over-the-Air-Updates patzt der Crossover, ohne dafür auch nur einen Hauch mit seinen stämmigen Schultern zu zucken.

Bei den weichen Faktoren da hakt es bei dem Purosangue – ganz anders beim Fahren, denn die Kombination aus prächtigen 6,5-Liter-V12, variablem Allradantrieb und einem fein abgestimmten Fahrwerk nebst geradezu perfekter Gewichtsverteilung von 49:51 kennt keine Schwäche. Die Lenkung ist mit der präzisen Rückmeldung von Fahrbahn und Rad eine Klasse für sich, wenngleich die serienmäßige Hinterradlenkung für Parkmanöver gerne ein paar Grad mehr einschlagen könnte, um den über zwei Tonnen schweren Italo-Koloss noch wendiger zu machen. Nick- und Wankbewegungen – nichts dergleichen, so hart man den Allradler bei schnellen Bergab- oder Bergaufpassagen auch herannimmt. Immer wieder verliebt man sich in diese Lenkung und ist überrascht, wieviel Komfort gerade bei lässiger Fahrt auch das achtstufige Doppelkupplungsgetriebe seinen Insassen bieten kann. Die Fahrprogramme lassen sich wie bekannt bei Ferrari über einen kleinen Dreh-Drück-Steller am pickepacke-vollen Lenkrad justieren. Die Spreizung der einzelnen Modi passt und gerade komfortable Dämpfer mit angespanntem Muskelpaket sind auf kurvigen Bergstraßen trotz Winterpneus eine Bestbesetzung. Der Vorteil der gegenläufig öffnenden Türen ist kaum ein solcher, doch es sieht einfach gut aus und die hinteren Einstiege lassen sich elektrisch öffnen. Viel Platz für groß gewachsene Insassen bietet der Fond jedoch nicht – hier unterstreicht er ebenso wie mit seinem gerade einmal rund 470 Liter großen Laderaum seine Sportwagenqualitäten ohne dies wirklich zu wollen.

Testfahrt

Der Ferrari Purosangue – das erste Crossover des Sportwagenherstellers in Bildern

fahrbericht   ferrari bringt mit purosangue sein erstes crossover heraus – das überzeugt, aber nicht in jedem punkt

© press-inform – das Pressebuero

Ferrari Purosangue

Auch wenn Ferrari so es nicht nennen will: der Purosangue ist ein echter SUV und in der Klasse der Hochleistungsmodelle wohl das Beste, was man aktuell auf der Straße bewegen kann. Fahrwerk, Motor und das Gesamtpaket sind eine exzellente Mischung aus Begehren und Benötigen. Doch Ferrari hat für die Zukunft ein paar Hausaufgeben zu lösen, denn in Sachen Bedienung, Navigation oder Vernetzung ist das Erstlingswerk nicht konkurrenzfähig. Das scheint die meisten Interessenten nicht zu stören, denn die Wartezeit ab dem offiziellen Marktstart im Sommer 2023 liegt bei mindestens 18 Monaten. Und die Norditaliener dürften nach ihrem Rekordjahr 2022 mit mehr als 13.000 verkauften Fahrzeugen mächtig bei der SUV-Konkurrenz wildern und die erwarteten 20 Prozent Anteil deuten im ersten vollen Verkaufsjahr auf 2.500 bis 3.000 Fahrzeuge hin. Keine Frage: der Purosangue wird ein Erfolgsmodell für Ferrari und die Elektrifizierung mit einer zweiten Motorvariante dürfte wohl kaum bis zum Ende des Jahrzehnts auf sich warten lassen.

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