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Elektromobilität und Co. im Jahresrückblick 2022: Was uns bewegt hat – Teil 2

Spannende Neuvorstellungen, sich abzeichnende Strukturveränderungen und der plötzliche Abgang von Herbert Diess als VW-Boss: Das Jahr 2022 im Rückblick

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Eine der markantesten Neuerscheinungen kam in diesem Jahr von VW. Studien eines elektrischen Busses im Retro-Stil gab es in den vergangenen Jahren reichlich, nun kann VW endlich liefern. Allerdings nimmt es der Konzern von den Lebenden: Mit nur wenigen Wünschen sind 70.000 Euro schnell überschritten.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Am Ende des Jahres lassen wir die Testwagen noch einmal Revue passieren. Chancen auf den Titel “Testwagen des Jahres” hat dabei nicht automatisch der Beste, sondern der, der den Fahrer am meisten überrascht hat. Meinem Kollegen Christoph fiel als erstes der Mercedes EQE (Test) ein, der ihn mit reichlich Komfort verwöhnte. Angesichts des Gebotenen sei er nicht einmal überzogen teuer, befand zumindest er. Florian hat der Ford E-Transit überzeugt. In dieser Klasse erwarte er “raue, laute Blechkisten mit schlechtem Fahrwerk”. Der Transporter von Ford hatte es da leicht, denn im Vergleich dazu ist er flüsterleise und bietet Pkw-artigen Komfort dank Einzelradaufhängung vorn und hinten. Clemens fand den Jeep mit Plug-in-Hybrid überraschend, weil Stellantis den Antrieb gut hinbekommen hätte – sieht man einmal von Verbrauch ab.

Für mich ragt weniger in diesem Jahr weniger ein Auto heraus, wobei der BMW i4 (Test) in seiner runden Gesamtheit aller Stärken wirklich beeindruckend war. Tatsächlich staunen ließ mich allerdings der Genesis G80 electric (Test). Ich hatte mit einer hohen Ladeleistung gerechnet, doch dass er sie bis über 75 Prozent Ladestand halten kann, ist momentan außergewöhnlich. Das nölige Bemängeln stundenlanger Ladezeiten beantwortet der Genesis mit einer lässigen Coolness.

Rasender Wandel im Bereich Mobilität

Die wünschte ich mir auch in manch einer Debatte rund um das Thema Mobilität. Doch Industrie und mit leichter Verzögerung auch der Markt befinden sich in einem rasenden Wandel, zumindest gemessen an den hier sonst üblichen Dekaden. Das bringt es mit sich, dass nicht mehr jeder folgen kann oder auch nur bereit dazu ist. Veränderungen bedeuten schließlich auch, dass manch liebgewonnene Gewohnheit zur Disposition steht. Das immer wieder so leidenschaftlich diskutierte Tempolimit gehört sicher zu den populären Beispielen. Mit einer globalen Rücksichtnahme auf solche Interessen ist nicht zu rechnen. Auf Klimawandel und Energieknappheit wird auch der Verkehrssektor reagieren müssen. Gerechnet werden darf langfristig vermutlich damit, dass eine verspätete Reaktion heftiger und unbequemer ausfällt als eine, die eigentlich jetzt fällig wäre.

Audi und Mercedes haben angekündigt, sich den Veränderungen auf dem Markt mit einer Strategie zu stellen, die auf den ersten Blick eigenwillig erscheint. Beide wollen sich perspektivisch von jenen Fahrzeugen im Sortiment trennen, die am wenigsten teuer sind. Audi A1 und Q2 spielen künftig keine Rolle mehr in den Planungen, bei Mercedes dürfte es die A-Klasse und einige ihrer Derivate treffen. Bei beiden dürfte für diese Entscheidung zweierlei eine Rolle gespielt haben: Die Margen bei den kleinen Modellen sind gering, die Kunden in diesem Segment preissensibler als bei noch teureren Autos. In den kommenden Jahren müssen sie sich, wie alle anderen auch, auf eine Flut von preiswerten E-Autos aus China einstellen. Es dürfte schwierig werden, sich hier zu behaupten. Anders als Marken wie Ford oder Opel haben Audi und Mercedes berechtigte Hoffnungen, dass relevante Teile ihrer Kundschaft die Flucht in höhere Preissegmente mitmacht. Riskant ist das fraglos dennoch.

Reduzierter Kaufzuschuss für E-Autos

Einstellen müssen sich alle Fahrzeughersteller auf die veränderten Förderbedingungen für elektrifizierte Autos. Ab Januar wird der Kaufzuschuss für Elektroautos reduziert, der für Plug-in-Hybride entfällt gleich ganz. Beides ist richtig, denn Förderung und Nutzen standen angesichts der Summen, mit denen da um sich geworfen wurde, in keinem gesunden Verhältnis. Mit der Beschränkung auf private Käufer eines Elektroautos wird sich die ausgezahlte Kaufprämie ab September 2023 eklatant reduzieren.

Bei Plug-in-Hybriden floss die Summe, ohne dass sich nachhalten ließ, ob die Umwelt so tatsächlich etwas weniger belastet wird. Wer nun frohlockt, dass mit diesem Steuersegen endlich Schluss ist, darf sich weiterhin beunruhigen, denn an den entscheidenden Hebel sind die Verantwortlichen nicht herangegangen: Der geldwerte Vorteil für die private Nutzung eines batterieelektrischen oder PHEV-Dienstwagens genießt weiterhin einen drastisch reduzierten Steuersatz. Wer das für Peanuts hält, versteht die Marktmechanismen nicht. Rund zwei Drittel aller Neuwagen werden gewerblich zugelassen, und der reduzierte Steuersatz betrifft zwar nicht all diese Fahrzeuge, aber doch eine beträchtliche Zahl.

Neuerscheinungen des Jahres 2022

Neue Autos tröpfelten 2022 eher zögerlich auf den Markt. Die um die Hüften etwas fülligen E-SUV-Coupes von Skoda und VW zählen dazu, der nicht minder rundliche Mercedes EQE als SUV ebenso. Etwas weniger ausladend gerieten BMW X1 und Kia Niro, die auch, aber nicht nur als Elektroauto erschienen. Renault überraschte damit, den Namen Megane künftig für zwei vollkommen unterschiedliche Modelle zu verwenden. Der Neuere ist ein reines E-Auto und zeigte in Tests, wie schwer es für die Autohersteller werden wird, sich gegen Googles Android Automotive mit einer überzeugenden Alternative zu wehren. Das System ist keineswegs perfekt und dennoch besser als vieles, was die Hersteller ab Werk bieten.

Toyotas Bauchklatscher

Aus Japan steuerte nach etwas zögerlichem Anlauf Nissan den Ariya bei, Toyota stieg mit dem bZ4x ins Geschäft mit reinen Elektroautos ein – und erlebte umgehend einen Bauchklatscher. Eine seltsame Entscheidung hinsichtlich des AC-Ladens, ein peinlicher Rückruf und schließlich das Angebot, die ersten Fahrzeuge wieder zurückzunehmen, verdichten sich zu einem Gesamteindruck, den Toyota unmöglich gestrebt haben kann.

Aufsehen erregt

Aufsehen erregten in diesem Jahr zwei Modelle von BMW und VW, wobei das Feedback unterschiedliche kaum vorstellbar sein könnte. Die Bayern dokumentierten mit einem maximal provokant geformten 7er, wie egal ihnen die Zulassungszahlen vor der eigenen Haustür sind. Dort, wo in der Vergangenheit die meisten Modelle dieser Baureihe abgesetzt wurden, wird die geradezu furchteinflößende Front ihre Fans finden. Etwas anders gelagert ist die Situation beim VW ID.Buzz. Seit vielen Jahren machte der Konzern auf Messen den Fans Hoffnungen, 2022 folgte endlich das Serienmodell des elektrischen Retro-Busses. Die aufgerufenen Preise sind ebenfalls furchteinflößend, doch die Rechnung scheint für VW aufzugehen. Zumal das Feedback im Straßenverkehr überaus positiv ausfällt.

Vergleichsweise wenig Beachtung fand der erste Großserien-Kombi mit elektrischem Antrieb. Der MG 5 soll jene ansprechen, die mit der SUV-Mode so gar nichts anfangen können, aber ein halbwegs bezahlbares E-Auto mit einem guten Platzangebot suchen. Im kommenden Jahr folgt Stellantis mit elektrisch motorisiertem Peugeot 308 und Opel Astra. Energiegehalt und Ladeleistung sind in beiden allerdings am unteren Ende dessen dimensioniert, was Kunden in dieser Klasse mehrheitlich erwarten dürften. Gut möglich also, dass Stellantis hier rasch nachlegen muss.

Abschiede

Die drastischen Veränderungen auf dem Markt spiegeln sich allerdings nicht nur in den Neuerscheinungen, sondern auch in jenen Modellen, die vom Markt verschwinden. Ein kleiner, nicht repräsentativer Ausschnitt: BMW stellte i3 und 2er Gran Tourer ein, Renault den Talisman, Ford in Europa den Mondeo, VW den seit 2010 gebauten Sharan. Sie alle bleiben ohne direkten Nachfolger. Bei Ford geht der Wandel absehbare Wandel weiter: Galaxy, S-Max und Fiesta fliegen aus dem Sortiment, der Focus hat in dieser Form ebenfalls keine Zukunft. Die Auswahl wird für Menschen, die den bulligen Schein-Geländewagen nicht erliegen, zunehmend kleiner. Sie sind nicht zuletzt Zeugnis einer einerseits modebewussten, alternden Gesellschaft, die bequem ein- und aussteigen möchte.

Andererseits wird deutlich, dass die Kaufkraft im globalen Vergleich hoch ist. Was Kia für den preiswerten ausgekleideten Niro verlangt – und offenbar auch bekommt – gehört für mich zu den erstaunlichen Erkenntnissen des Jahres. Fast 50.000 Euro erscheinen mir für ein Auto derart viel Geld, dass ich eigentlich nicht ständig daran erinnert werden möchte, dass ein Konzern zuvorderst an seine Rendite denkt. Der Niro ist allerdings nur ein Beispiel von vielen, auch Mercedes und VW zeigen teilweise eine Nonchalance an der Oberfläche, die ihnen vor wenigen Jahren keiner zugetraut hätte. Wir sind gespannt, wie sich der Trend, steigende Fahrzeugpreise mit abnehmender Hochwertigkeit im Sichtbereich zu kombinieren, weiter fortsetzen wird. Volvo und Genesis gehen zumindest in einer Hinsicht den entgegengesetzten Weg.

Personalien in der Autoindustrie

Bleibt noch die Personalpolitik in den Spitzen der Autoindustrie. Opel bekam mal wieder einen neuen Chef, nachdem der bisherige nach gerade einmal neun Monaten die Karriereleiter weiter emporstieg. In die entgegengesetzte Richtung ging es für Volkswagen-Chef Herbert Diess, der bei aller lautstark vorgetragenen Dynamik zunehmend den Eindruck hinterließ, darüber die grundlegenden Hausaufgaben zu vernachlässigen. Es dauerte viel zu lange, die Software zumindest stabil zu bekommen, was Kunden weitaus weniger tolerieren als fehlende Funktionen.

Hinzu kommen Schwächen, die angesichts der teilweise besser aufgestellten Konkurrenz geradezu schmerzhaft sichtbar werden. Golf 8 und noch viel mehr der ID.3 sind innen von bemerkenswerter Schlichtheit. Dabei verstand es gerade Volkswagen in der Vergangenheit meisterhaft, oberflächlich hochwertig zu erscheinen. Hier will der Konzern 2023 mit Überarbeitungen gegensteuern. Auf das Ergebnis sind sicher nicht nur wir gespannt.

Schwächelnde Ladeleistung

Viel schlimmer allerdings ist der Rückstand beim Laden, und eine spürbare Beschleunigung ist hier trotz der 2022 erfolgten Verbesserungen nicht in Sicht. Spätestens bei 170 kW ist die höchste Ladeleistung erreicht, die sich nur in einigen Modellen der Marke unter idealen Bedingungen und in einem kleinen Ladefenster abrufen lässt. Auch wenn das für die meisten Fahrprofile irrelevant ist: Auf Langstrecken fallen die Ladestopps mit einem Elektroauto aus dem Hyundai-Konzern – an entsprechender Infrastruktur – erheblich kürzer als mit einem VW-Stromer aus. Mit kurzen Ladezeiten lässt sich hervorragend werben.

Viel Arbeit also für den seit September 2022 im Amt befindlichen, neuen Volkswagen-Chef Oliver Blume. Der traut sich gewissermaßen als Nebenjob noch die Führung der Marke Porsche zu, was weniger irritierte als seine Aussagen zum Thema “E-Fuels”. Die hatte sein Vorgänger abgekanzelt, Blume dagegen hielt sie für eine gangbare Alternative zum Weg Richtung Elektromobilität. Bis zu einem gewissen Grad haben beide sogar recht: E-Fuels sind ein wichtiger Baustein zur Dekarbonisierung des Bestands und werden irgendwann vermutlich in geringer Menge kommen – für jene, die sich das leisten können und wollen. Als Massenersatz für Kraftstoffe aus Erdöl taugen sie auf absehbare Zeit nicht. Blume sah sich denn auch genötigt, sich klar zum von VW eingeschlagenen Kurs der E-Mobilität zu bekennen.

Gewaltige Investitionen in Elektromobilität

Ohnehin müssen die Verhältnisse vor dem sich abzeichnenden Strukturwandel gesehen werden. Bis 2030 sollen in der Autoindustrie insgesamt unglaubliche 1,2 Billionen US-Dollar in den elektrischen Antriebsstrang investiert werden. Rund die Hälfte davon entfällt auf Tesla. Sollten sich diese Pläne tatsächlich auch nur ansatzweise als realistisch erweisen, kann sich ein jeder leicht ausrechnen, was sich in den kommenden Jahren in den Bereichen Batterie, Ladezeiten, Kosten, Haltbarkeit und Energiegehalt bewegen wird. Bis E-Fuels in relevanter Menge auf dem Markt sein könnten, werden batterieelektrische Autos vermutlich viele Probleme, die mit ihnen aus der 2022er-Perspektive oftmals noch verbunden werden, längst überwunden haben. Die aktuellen Verhältnisse, in denen im zurückliegenden Jahr rund 85 Prozent aller Neuwagen noch einen Verbrennungsmotor eingebaut hatten, sollten darüber nicht hinwegtäuschen.

(mfz)

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