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Elektroautos: Wie viele Kilowattstunden bietet die Batterie tatsächlich?

Der Energieinhalt von Batterien in E-Autos wird gerade bei Gebrauchten spannend, denn der Verschleiß ist messbar. Mit welchem Verlust müssen Kunden rechnen?

elektroautos: wie viele kilowattstunden bietet die batterie tatsächlich?

Ein Youtuber und Besitzer eines VW ID.3 kann nach zwei Jahren nur noch gut 50 der vom Hersteller kommunizierten 58 kWh Energieinhalt entnehmen. Hier kommen zwei Aspekte zusammen: Zum einen die Degradation der Traktionsbatterie, die zyklisch und kalendarisch erfolgt. Zum anderen ist das sichtbare Ladefenster nach Messungen von Aviloo lediglich 54 kWh groß.

(Bild: Volkswagen)

Nach zwei Jahren liefert die Traktionsbatterie des VW ID.3 von Christian Stadler nach eigener Messung 50,4 statt der ursprünglich vom Werk angegebenen 58 kWh. Das entspricht einer Degradation von 13 Prozent. Stadler betreibt den Youtube-Kanal Battery Life und kennt seinen ID.3 durch und durch. Um seine Berechnung zu verifizieren, macht er den professionellen Test von Aviloo. Das österreichische Unternehmen ermöglicht es jedem Besitzer eines Elektroautos, selbst eine zertifizierte Degradationsmessung durchzuführen. Das Ergebnis ist ähnlich: 50,26 kWh sind übrig, sagt Aviloo, spricht aber nur von sieben Prozent Verlust. Weitere Berechnungen von möglichen Messfehlern zum Beispiel durch einen nicht exakten Kilometerzähler im VW ID.3 führen nur zu minimalen Veränderungen. Im Grundsatz ist also klar, dass die Traktionsbatterie gealtert ist. Eine Unschärfe bleibt. Was ist hier los?

Verschleiß der Batterie in E-Autos: kalendarisch und zyklisch

Traktionsbatterien in Elektroautos verschleißen über die Nutzung (zyklisch) und den Zeitraum (kalendarisch). Die Garantiefristen der Hersteller beziehen sich folglich auf eine Kilometerzahl – die ergibt sich aus der Zahl der erwartbaren Zyklen, multipliziert mit der Reichweite – und eine Jahresanzahl. Typisch sind zum Beispiel 160.000 km oder acht Jahre. Die Garantiebedingungen der Autoindustrie enthalten immer eine angenommene Alterung; meistens sind 70 Prozent des Neuzustands die Grenze.

Batteriekapazität oder Energieinhalt?

Die Werte, die von den Herstellern veröffentlicht werden, unterliegen bisher keiner gesetzlichen Definition. Auch die Begriffe werden für den Normalmenschen oft nicht transparent und verständlich eingesetzt. Ein Beispiel ist die Batteriekapazität: Sie ist streng genommen die Zahl der Amperestunden (Ah), die ge- oder entladen werden können. BMW etwa hatte beim i3 immer völlig korrekt von Ah gesprochen. Gebräuchlich ist aber wie beim Stromverbrauch die Einheit Kilowattstunden. Diese ergibt sich, wenn neben den Amperestunden die Spannung berücksichtigt wird. Wenn über kWh gesprochen wird, ist technisch richtig formuliert der Energieinhalt gemeint. Volkswagen schreibt im Konfigurator darum beim ID.3 “Netto-Energieinhalt 58 kWh”.

Die Messungen von Christian Stadler und Aviloo stimmen nahezu überein. Dass Aviloo auf nur sieben statt 13 Prozent Degradation kommt, liegt an einer anderen Grundannahme. Wir haben mit Nikolaus Mayerhofer gesprochen, Chief Technology Officer (CTO) und äußerst erfahren im Umgang mit Batteriesystemen. Er erklärt, dass die Messung von Aviloo entweder bis 0 Prozent Ladestand oder 0 km Restreichweite geht. So ergaben sich im Fall des ID.3 eben 54 und nicht 58 kWh. Wenn das Elektroauto danach noch weiterfährt, bleibt das unberücksichtigt.

heise/Autos liegen weitere Messungen vor, die Elektroautobesitzer mit dem Test von Aviloo gemacht haben. Ein Cupra Born (Test) bestätigt den Ausgangs-Energieinhalt 54 kWh des ID.3, und auch ein Hyundai Ioniq 5 wurde nur mit 68,9 statt mit 72,6 kWh angenommen. Offenbar beschneiden die Hersteller zum Bauteilschutz die tatsächlich entnehmbare Energiemenge beziehungsweise das, was für den Fahrer sichtbar ist. Ein Aspekt davon ist, ein paar Restkilometer unter 0 Prozent Anzeige als Reserve zu behalten, um das Liegenbleiben an einer kritischen Fahrbahnstelle zu vermeiden. Auch am oberen Ende gibt es oft einen Puffer. Sicher ist: Wer seine Traktionsbatterie schonen will, begrenzt das Ladefenster freiwillig.

Optimal sind 50 Prozent Ladestand

Hierzu gibt Nikolaus Mayerhofer von Aviloo wichtige Tipps: “Ich behandele die Batterie am besten, wenn ich den Ladestand bei 50 Prozent halte. Die Batterie fühlt sich wohler, wenn sie zum Beispiel von 40 bis 60 Prozent statt von 20 auf 80 Prozent geladen wird. Je näher und je länger man sich bei den Grenzen 0 oder 100 Prozent aufhält, desto schlechter ist das für die Lebensdauer.” Aviloo kann sich vorstellen, mittelfristig den Energieinhalt von einzelnen oder allen Elektroautos in der Datenbank zu veröffentlichen. Das wäre ein großer Gewinn für den Verbraucherschutz, weil potenzielle Käufer wissen wollen, worauf sie sich einlassen.

Die elektrische Energie, die einer Traktionsbatterie entnommen werden kann, ist weniger einfach zu definieren als der volumetrische Tankinhalt bei fossilen Kraftstoffen. Bei denen gibt es leichte Schwankungen über die Temperatur, mehr nicht. Bei Elektroautos ist keine einheitliche Regelung feststellbar, welche Inhalte genau die Hersteller im Datenblatt angeben. Tesla verzichtet ganz darauf. Darüber hinaus sind die Veränderung über die Temperatur – vor allem bei Kälte – und auch über die Lebensdauer viel größer. Außerdem ist es kein Geheimnis, dass Hersteller per Softwareupdate das Ladefenster eines Elektroautos im Bestand oder dessen Ladeleistung im Nachhinein einschränken können.

Wie geht es der Batterie?

Zertifizierte Messungen des SOH (State Of Health), wie sie von Aviloo oder Twaice, wo man in Kürze den Battery Quick Check anbieten wird, auf den Weg gebracht werden, sind elementar für den zukünftigen Markt von Elektroautos. Vermutlich wird schon in einem Jahr kein Gebrauchtwagenkäufer mehr eine simple Auslesung der Onboard-Diagnose für den SOH akzeptieren. Zertifizierte Messungen werden die Regel sein – und zu Streit führen.

So ist nicht jedem Fahrzeughalter eines Elektroautos klar, dass die Traktionsbatterie überhaupt degradiert. Auch das Spektrum der Alterung wird höchst unterschiedlich sein. Einige werden auch nach Jahren wenig Verschleiß haben. Andere können vielleicht schon bei einem Jahreswagen deutlich weniger Kilowattstunden entnehmen, als es das Datenblatt einst versprach. Wiederum andere werden erleben, dass es Defekte geben wird.

Vor allem aber dürfte es Irritationen über die Garantie der Batterie geben. Denn fällt die Restkapazität beispielsweise unter die garantierten 70 Prozent, bekommt der Kunde nicht etwa einen neuen Speicher. Hersteller werden die Batterie dann in zugesicherten SOH-Bereich bringen, beispielsweise durch den Tausch einzelner Module. Zuvor wird es ganz sicher Diskussionen um den exakten Stand der Degradation geben – unterschiedliche Testergebnisse von Vertragswerkstätten und unabhängigen Gutachtern werden Gerichte noch beschäftigen.

Die Ursachen für die Degradation selbst sind vielfältig. Das Nutzungsverhalten hat einen Einfluss, aber auch die Güte des Batteriesystems selbst: Ist ein aufwendiges und aktives Temperaturmanagement zum Kühlen und Heizen vorhanden oder nicht? Musste der Hersteller aus Rücksicht auf die Kosten von vornherein ein relativ großes Ladefenster freigeben, also viel Netto vom Brutto? Welche Zellchemie wurde eingesetzt? LFP-Zellen, wie sie die Basisversionen von Tesla Model 3 (Test) oder MG4 electric (Fahrbericht) haben, sind zum Beispiel zyklenfester als die aktuell weit verbreiteten NMC-Zellen. Wie so viele Aspekte in der Elektromobilität fehlt die umfangreiche Praxis, die mit Verbrennungsmotoren über mehr als hundert Jahre gesammelt wurden. Die Lernkurve ist jetzt, in der Anfangsphase, besonders steil.

(mfz)

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