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E-Autos in China: Der Plan verlangt Strom

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Längst nicht mehr nur die Stadt der Fahrräder: Peking zur Hauptverkehrszeit

Es hupt und braust auf der fünften Ringstraße, Pekings mächtiger Verkehrsader, wo Fahrspuren vielen eher als Richtwerte dienen. Linker Hand zieht ein elektrischer Kleinlaster halb über die Spur. Zhus Nio-Geländewagen auf der Nebenbahn bremst automatisch ab. Der Bordcomputer entscheidet, die Spur zu wechseln. Der Blinker geht an, ein anderes Fahrzeug überholt noch rasch von rechts, dann wechselt das E-Auto die Fahrspur.

„Ganz schön super, oder?“, sagt Herr Zhu. Er befiehlt dem Bordcomputer, das System auf Sport zu stellen. Zhu bremst hart ab, um unvermittelt wieder voll durchzudrücken. Das Gefühl ähnelt dem wie beim Start eines Flugzeugs. Das Elektroauto beschleunigt in wenigen Sekunden auf hundert Stundenkilometer. Nio ist Chinas Edelmarke, der Motor besonders stark. Je näher Pekings Stadtmitte kommt, desto wohlhabender sind die Leute, desto mehr hellgrüne Nummernschilder finden sich auf den Straßen: die Erkennungsmarke der E-Fahrzeuge.

Sieben Millionen Fahrzeuge in Peking

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Kabellose Ladestation in Hangzhou in der Provinz Zhejiang

In Chinas Großstädten ist Elektromobilität selbstverständlich geworden. Nirgendwo auf der Welt werden mehr E-Autos verkauft als in der Volksrepublik. Mehr als die Hälfte aller E-Fahrzeuge der Welt fahren hier. Vergangenes Jahr waren ein Viertel aller verkauften Neuwagen in China Elektro- oder Hybridfahrzeuge. Allein Peking hat derzeit mehr als sieben Millionen Fahrzeuge registriert, von denen Ende 2022 bereits ein Zehntel elektrisch fuhren. Bis übernächstes Jahr will der Staat in Peking das Ziel von zwei Millionen Elektroautos erreichen.

Dass das klappt, ist nicht gewiss. Die Wirtschaft schwächelt, die Nachfrage geht zurück, viele Chinesen halten ihr Geld zusammen. Beim Staat und den Provinzen haben Jahre gigantischer Subventionen in den Batterie- und E-Fahrzeug-Sektor zu hoher Verschuldung geführt. Einige dieser Zuschüsse hatte die Staatsführung zuletzt gestrichen. Aber im Juli verlängerte das Politbüro dann doch noch eine Steuergutschrift für den Kauf von Elektrofahrzeugen, die Ende des Jahres eigentlich auslaufen sollte. So soll der E-Boom weitergehen. Am vergangenen Mittwoch verkündete Chinas Marktführer BYD die Fertigstellung seines fünfmillionsten Elektroautos.

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Elektromobilität auf dem Vormarsch: Ladestationen in Peking

Zhu fährt von der Ringstraße ab und lässt sich vom Navigationssystem zu einem Parkplatz führen, wo am Rand ein metallener Unterstand mit Hebebühne steht. Es ist eine der dreihundert Stationen zum automatischen Batteriewechsel in der Stadt. Zhu fährt vor die Wechselstation, drückt einen Knopf und lässt das Steuer los. Automatisch rangiert sein Fahrzeug in die Station und setzt zurück auf die Hebebühne. Das Auto wird leicht angehoben. Zwei, drei Minuten lang ruckelt es im Unterboden, dann ertönt ein Signal, dass fünfhundert Kilometer Reichweite geladen sind. Lautlos gleitet Zhu zurück in den Pekinger Verkehr.

Als Chinas Führung um das Jahr 2009 noch unter Staats- und Parteichef Hu Jintao entschied, E-Mobilität massiv zu fördern, folgte das vor allem drei Überlegungen: Das Land sollte unabhängiger von Treibstoffimporten werden, da China siebzig Prozent seines Öls importierte, das man wiederum zu siebzig Prozent für Motorenbenzin verwendete. Es war auch die Zeit heftiger Luftverschmutzung insbesondere in Städten, wo es deshalb öfter zu Protesten kam. Und nicht zuletzt zielte China darauf, mit einer strategisch wichtigen neuen Technologie die Spitze des Weltmarkts zu erreichen.

„Der Schlüssel liegt in all diesen Aspekten“, sagt Tu Le von der chinesisch-amerikanischen Beratungsfirma Sino Auto Insights. Seit 2009 ist China der größte Auto-Absatzmarkt der Welt. Dennoch habe Peking damals erkannt, dass es in der Herstellung von Verbrennerfahrzeugen nie Weltmarktführer werde könne, so Tu Le. Also habe die Staatsführung das Neue in den Blick genommen, mit riesigen Summen Batteriefabriken aufgebaut, Forschungsgeld ausgeschüttet und E-Auto-Hersteller subventioniert, um eine Massenproduktion hochzufahren. „Die chinesische Regierung hat den Vorteil, dass sie sehr viel langfristiger planen kann als andere Länder, eben weil China nicht demokratisch ist“, sagt Tu Le. Im Rahmen selektiver Industriepolitik schütteten Chinas Staats- und Provinzführungen über das folgende Jahrzehnt viele Dutzend Milliarden Euro aus. Und trotzdem blieb der Absatz von E-Autos im eigenen Land die ersten Jahre mau.

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Auch für die Energieversorgung von E-Bikes wird in Peking gesorgt.

Die Attraktivität von Tesla

Das ging bis 2019, als Tesla eine Fabrik in Schanghai eröffnete. Für Tesla galt die staatliche Vorschrift nicht mehr, dass ausländische Autobauer ein Joint Ven­ture mit chinesischen Firmen eingehen müssen. Überhaupt sei es erst Tesla gewesen, das den bis 2019 schwachen chinesischen Absatzmarkt für E-Fahrzeuge angekurbelt habe, sagt Tu Le. „Die Attraktivität der Marke Tesla trug dazu bei, dass mehr Chinesen elektrisch fahren.“ Die Umweltfrage sei weniger entscheidend gewesen, eher komme es Kaufinteressenten in China auf das Informations- und Unterhaltungssystem im Wagen an. E-Autos wurden cool in der Volksrepublik. Und Lieferketten, die um die Tesla-Werke in China herum aufgebaut wurden, speisen heute eine ganze Reihe einheimischer Hersteller von Elektrofahrzeugen.

Wer in China Tesla fährt, bekommt ihn dort bis zu vierzig Prozent günstiger als in den USA. Es gibt aber noch einen anderen Preis zu zahlen: Auch wenn die KP-Führung den Tesla-Chef Elon Musk regelrecht hofiert, wird Tesla-Autos die Fahrt in die Nähe chinesischer militärischer Einrichtungen und einiger Versammlungsorte der Kommunistischen Partei oftmals verwehrt. Es herrscht die Sorge, dass die in den Fahrzeugen eingebauten Kameras sensible Daten sammeln könnten. Viele Pekinger hält das trotzdem nicht vom Kauf eines Teslas ab. Die Stadt ist voll von ihnen. In China ist Tesla heute die am zweitmeisten verkaufte Marke hinter dem Marktführer BYD, noch vor acht weiteren chinesischen Herstellern der nachgefragtesten Marken.

Deutsche Autofirmen hingegen erwähnt in Gesprächen mit zahlreichen Pekinger Elektro-Autofahrern eigentlich niemand. Nur Herr Zhu erzählt, wie Nio einen Teil seiner Fahrzeugdesigner in München sitzen habe. In Form und Design seien die Deutschen gut, sagt er. Aber von Motoren, Batterien, Elektronik oder Software ist nicht mehr die Rede.

Zhu ist Produktmanager des E-Wagen-Herstellers Nio. Sein Fahrzeug hat er mit Firmenrabatt gekauft, zudem bekam er noch ein paar Tausend Euro Subventionen des Staates. Nur auf ein Pekinger Nummernschild wartete er vergeblich. Die Me­tropole ächzt unter den Verkehrsmassen. Deshalb vergibt Pekings Verwaltung neue Nummernschilder nur nach einer festgelegten Quote. Es ist der Zwiespalt, die Stadt vor dem Verkehrsinfarkt zu bewahren und gleichzeitig E-Mobilität voranzutreiben. Dieses Jahr gibt Peking insgesamt hunderttausend neue Nummernschilder aus, von denen siebzigtausend E-Autos vorbehalten sind. Sie werden nach einem Lotterieverfahren zugeteilt, das die Behörden mit einem Punktesystem kombinieren: Wer mehr Kinder hat, erhält mehr Punkte und somit einen Vorteil in der Verlosung. Sonderpunkte erhalten Haushalte, die noch kein Auto haben.

Wer über keine guten Beziehungen verfügt, kann in Peking lange auf ein grünes E-Nummernschild warten. Von bis zu zehn Jahren ist die Rede. Zhu hat seinen Wagen deshalb in der Stadt Tianjin registriert. Insgesamt zwölf Mal im Jahr darf er damit für jeweils sieben Tage nach Peking hinein- und hinausfahren, aber zu bestimmten Tageszeiten seinen Wagen nicht innerhalb der fünf Ringstraßen lenken. Chinas Bürokratie macht auch vor den E-Fahrern nicht halt. Einige Fahrzeughalter mieten sich bereits existierende Nummernschilder auf dem grauen Markt, was noch einmal gut hundert Euro monatlich kosten kann.

Am Rande der vierten Ringstraße liegt einer der größten Ladeparks der Stadt, mit sechzig Plätzen. Eine Tafel zeigt an, wie viele Steckplätze bald frei werden und wo ein Auto bereits vollgeladen, nur noch nicht abgefahren ist. Die Preise variieren nach Tageszeit. Am günstigsten ist es nachts und früh morgens, am teuersten ist die Kilowattstunde zwischen Mittag und dem Nachmittag. Das folgt der Nachfrage, entspricht aber auch den Vorgaben der Behörden, das Elektrizitätsnetz zu schonen, damit es in Zeiten der Volllast nicht zu stark beansprucht wird.

Ein Drittel billiger als Benzin

Zur Mittagszeit ist der Ladepark fast voll belegt. Manche nutzen die Ladezeit zur Mittagspause. Ein Mann hinter dem Steuer eines SUV der Marke Changan-CS75-Hybrid sagt, er unterhalte sich gern, aber zuerst möchte er noch sein Computerspiel zu Ende bringen. Wild drückt er mit beiden Daumen auf seinem iPad herum. Wenig später ist sein Spiel vorbei, er öffnet seine Autotür und bittet auf die Rückbank. Jiang Tao arbeitet in einem Versicherungskonzern als Manager. Das Elektroauto habe er sich gekauft, weil es komfortabler, schöner und stärker sei als ein Verbrenner. Und Ölwechsel habe er nicht mehr nötig. Der Listenpreis seines Autos beträgt umgerechnet zwanzigtausend Euro, mit den staatlichen Subventionen lag der Kaufpreis ein paar Tausend Euro darunter.

Jiang sagt, die Zahl der Ladestationen reiche ihm. „Sollte eine besetzt sein, findet sich ein anderer Platz innerhalb von drei Kilometern.“ Allein Peking hat 7700 Ladeparks mit insgesamt mehreren Hunderttausend Stromanschlüssen. Dass die Ladekosten rund ein Drittel niedriger sind als bei Benzinern, sei ihm eigentlich egal, sagt Jiang. Eher habe er an die Umwelt gedacht. Die Luft ist in Peking über die vergangenen Jahre besser geworden. Jiang sagt, das liege zwar auch an den E-Autos, doch vor allem daran, dass vor einigen Jahren schon viele Fabriken aus dem Stadtgebiet verbannt worden sind.

Die meisten Kunden im Ladepark sind Taxifahrer. Sie haben keine Wahl mehr. In Peking müssen seit zwei Jahren neu angemeldete Fahrzeuge zur Personenbeförderung elektrisch sein. Die Anordnung stößt vielen Taxileuten auf. Ein Fahrer sagt, er müsse jeden Morgen um vier aufstehen und fahre dann zu einer Ladestation, um bis sechs Uhr früh vollgeladen mit der Schicht zu beginnen. Mittags muss er dann noch mal eine Stunde laden, bis er abends gegen neun Uhr Feierabend macht. Als er noch einen Benziner fuhr, habe er länger schlafen und früher aufhören können. Ein anderer Taxifahrer ist richtig wütend. „Im Winter lädt die Batterie nicht wie sonst, die Reichweite wird kürzer“, ruft er. „Und im Sommer dürfen wir bei großer Hitze nicht laden, wegen der Gefahren.“ Immerhin könne man sich in solchen Fällen zu einem Batteriewechsel anmelden, aber das koste alles mehr. Am liebsten wünsche er sich seinen alten Benziner zurück.

In edleren Teilen Pekings dagegen stammen in der Tiefgarage eines luxuriösen Einkaufszentrums im Sanlitun-Viertel die meisten Fahrzeuge noch von deutschen Edelmarken. Es sind Verbrenner. Nur an einer Wand der Tiefgarage haften zehn Ladeboxen. An der Säule des chinesischen Marktführers TGood lädt der Arbeiter Zhang Fu seinen zerbeulten E-Lieferwagen auf. Seit zwei Jahren fährt er damit Wäsche aus. Sein Fahrzeug hat eine Genehmigung für die fünf Pekinger Ringe, deshalb kommt er oft direkt von zu Hause in der Nachbarprovinz Hebei. Zhang Fu ist zufrieden mit dem elektrischen Lieferwagen, nur für lange Strecken sei das nichts. Binnen einer Stunde lädt er in der Tiefgarage genug Strom nach, um damit siebzig oder achtzig Kilometer weit zu kommen. Das koste ihn sechzig Renminbi, ungefähr acht Euro und damit nur ein Viertel von dem, was er für Benzin zahlen müsse.

Wenige Meter neben dem E-Parkplatz ist ein Autozubehörgeschäft. Der Betreiber sagt, viele Pekinger, die E-Auto fahren, nutzen diesen als Zweitwagen und fahren zusätzlich einen Benziner. Er sagt, E-Autos hätten zwar einen stärkeren Motor und seien insgesamt moderner. Trotzdem bevorzuge er das Fahrgefühl eines Benziners. „Ich werde mir kein E-Auto kaufen, weil die Preise im mittleren Preissegment im Vergleich zu Benzinern immer noch viel zu hoch sind.“ Sein Bruder aber habe sich gerade einen Tesla gekauft hat, Model 3. Der kostet hier umgerechnet nur rund dreißigtausend Euro.

In China herrscht ein Preiskampf, und Beobachter erwarten eine Pleitewelle unter den vielen Herstellern. Nur BYD und mit Abstrichen ein oder zwei weitere chinesische Hersteller von Elektrofahrzeugen sind derzeit profitabel. Das bedeutet: Die anderen rund hundertfünfzig E-Fahrzeug-Produzenten in China verlieren Geld. Viele von ihnen sind Tochtergesellschaften der großen Staatsunternehmen. „Auf Provinzebene besteht die Aufgabe eines Staatsunternehmens eben nicht darin, Gewinne zu erwirtschaften“, sagt der Analyst Tu Le, „sondern Menschen zu beschäftigen.“ Die Firma Nio etwa war vor drei Jahren noch pleite, nur durch eine Finanzspritze der Heimatprovinz Anhui von vielen Hundert Millionen Euro konnte sie gerettet werden.

Das Wachstum fällt – auf dreißig Prozent

Zuletzt schwächelte der Absatz von E-Autos, was in hiesigen Dimensionen bedeutet, dass Chinas Automobilverband für dieses Jahr nurmehr ein Verkaufswachstum von dreißig Prozent gegenüber dem Vorjahr erwartet und nicht mehr neunzig Prozent wie noch vom Jahr 2021 auf 2022. China stehe vor einer gigantischen Marktbereinigung, sagt Tu Le. Zudem sei der Markt in großen Städten wie Peking langsam gesättigt. Vor diesem Hintergrund will der Staatsrat nun Chinas ländliche Regionen stärker beim Ausbau der Ladeinfrastruktur unterstützen. Dort werden bisher kaum E-Autos verkauft, Ladestationen sind seltener, und das Elektrizitätsnetz ist weniger stabil.

Die Staatsspitze versucht dieser Tage, die Nachfrage nach E-Autos in Zeiten riesiger Verschuldung auch ohne große Konjunkturprogramme zu vergrößern. Neben den verlängerten Steuererleichterungen etwa gelten seit dem ersten Juli auch strengere Abgasnormen.

Schon vor drei Jahren kündigte Staats- und Parteichef Xi Jinping an, China bis 2060 klimaneutral zu machen, zudem werde bis 2030 der Höchstwert der CO2-Emissionen erreicht. Ein Mittel dazu ist die Dekarbonisierung der Straßen. Allerdings kommt auch die Elektrizität für Chinas E-Autos aus dem chinesischen Stromnetz. Und dessen Strom wird zu zwei Dritteln über Kohle erzeugt, die China kostengünstig im eigenen Land abbaut. Die Zahl der Kohlekraftwerke nimmt weiter zu, wenn auch in geringerem Maß als der Gesamtstromverbrauch des Landes. Stattdessen hat sich der Anteil an Atomstrom auf knapp fünf Prozent verdoppelt, der jetzt einen ähnlichen Anteil einnimmt wie Solarkraft.

Nio-Besitzer Zhu sagt, die Umweltfrage sei schwierig, die könne er nicht spontan beantworten. Zhu fährt längere Zeit und schweigt, bis er irgendwann erklärt, eigentlich glaube er an Fusionskraftwerke. „Sie werden uns alle mit genug Strom versorgen.“ Den neuen Technologien gehöre die Zukunft.

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