Volkswagen
Der Weg in die Krise
Kein gutes Bild: Das Markenhochhaus auf dem Gelände vom VW-Werk Wolfsburg spiegelt sich in einer Pfütze.
Oliver Blume liebt es geordnet. Den zweitgrößten Autokonzern der Welt will der VW-Chef mit einem Zehn-Punkte-Plan zukunftsfest machen, und kein Auftritt vergeht, ohne Haken hinter die erledigten Aufgaben zu setzen. Ende Mai zur Hauptversammlung war alles im Plan: Die „maßgeblichen Aufräumarbeiten“ seien abgeschlossen, berichtete er Aktionärinnen und Aktionären.
Gut drei Monate später geht es doch wieder ums Aufräumen: „Werkschließungen … können in der aktuellen Situation ohne ein schnelles Gegensteuern nicht mehr ausgeschlossen werden“, teilte der Konzern am Montag mit. Die Drohung des Unternehmens, das in der Volkswagen AG in Deutschland rund 120 000 Menschen beschäftigt, bleibt nicht ohne Wirkung. Betriebsratschefin Daniela Cavallo warf der VW-Spitze Versagen vor, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) fordert andere Lösungen für die VW-Probleme.
Am Dienstag meldete sich Wirtschaftsminister Robert Habeck zu Wort: „Die Autoindustrie ist ein Eckpfeiler des Industriestandorts Deutschland, und das soll auch so bleiben“, sagte der Grünen-Politiker. Er warnte, den Kurs Richtung E-Mobilität infrage zu stellen: „Ein Schlingerkurs ist Gift und führt schon jetzt zu massiver Verunsicherung bei Investitionen in die Wertschöpfungskette.“ Davon würden nur chinesische E-Auto-Hersteller profitieren – was man auch bei VW so sieht.
Es könnte schwer werden, das der Wolfsburger Belegschaft in einer Betriebsversammlung an diesem Mittwoch zu erklären. Denn die Beschäftigten erinnern sich noch gut an das Rekordjahr 2023: Der Konzern steigerte seinen Umsatz auf 322 Milliarden Euro und den Nettogewinn auf fast 18 Milliarden Euro, die Dividende wurde angehoben, und die Belegschaft bekam 4735 Euro Bonus pro Kopf. Auch in diesem Jahr soll der Umsatz wachsen. Der Gewinn wird schrumpfen, aber immer noch mehrere Milliarden Euro erreichen. Warum also die Panik?
„Dem Kerngeschäft drohen rote Zahlen“, heißt es selbst in der Betriebsratszeitung „Mitbestimmen“. Denn hinter den Konzernzahlen stecken höchst unterschiedliche Einzelergebnisse, und die Marke VW – das „Kerngeschäft“ – liefert sehr schwache. Im ersten Halbjahr verkaufte VW 1,5 Millionen Autos vom ID.3 bis zum Touareg, nahm damit 42 Milliarden Euro ein und behielt am Ende 966 Millionen Euro operativen Gewinn übrig. Das entspricht 2,3 Prozent, wo eigentlich 6,5 Prozent angestrebt werden. Selbst wenn man Sonderlasten für den bereits laufenden Personalabbau herausrechnet, bleiben nur 3,6 Prozent.
Von 100 Euro, die VW beim Verkauf eines Autos einnimmt, bleiben also selbst bei freundlicher Rechnung nur 3,60 Euro Gewinn – vor Steuern. Bei der Schwestermarke Skoda ist die Rendite mehr als doppelt so hoch. „Skoda hat eine wettbewerbsfähige Kostenstruktur. Das macht den Unterschied!“, schrieb Finanzchef Arno Antlitz den eigenen Leuten im Juli ins Stammbuch. Mit den aktuellen Erträgen könne VW die nötigen Investitionen nicht finanzieren.
Das ist für die Marke VW doppelt unangenehm. Sie fährt selbst schlechtere Ergebnisse ein, und die anderen Konzernbereiche haben nicht mehr den Spielraum, Wolfsburger Schwächen zu überdecken. Traditionell liefern Audi, Porsche und die Finanzdienstleistungen den größten Teil der Konzerngewinne, auf denen „Volkswagen“ steht. Doch die Konzerngeschwister haben – in unterschiedlichem Ausmaß – andere Sorgen als die x-te Wolfsburger Krise.
So müssen Schäfer und seine Leute mindestens drei „Gegenwinden“ allein trotzen. Da ist zuerst das operative Tagesgeschäft: Die Nachfrage ist flau, weil die erhoffte Konjunkturbelebung in Deutschland ausbleibt. Auch im Rest Europas fehlen Impulse, und in den USA erlahmt gerade der Schwung – möglicherweise bis hin zur Rezession.
Zweitens China: Seit den späten Neunzigern überdeckte der Boom dort jede Schwäche in anderen Ecken der VW-Welt. Selbst im vergangenen, bereits schwierigen Jahr überwiesen die chinesischen Konzerntöchter noch 2,6 Milliarden Euro nach Wolfsburg. Doch die Konkurrenz wächst, Preise fallen, Marktanteile schrumpfen, und das Geld wird zunehmend dort gebraucht, um wieder Anschluss zu finden.
Drittens hakt die Transformation: Wie kein anderer etablierter Hersteller hat VW unter dem damaligen Chef Herbert Diess auf die Elektromobilität gesetzt. Doch die ersten E-Modelle gerieten schlampig. Nun stockt auch noch allgemein die Nachfrage – vor allem, aber nicht nur in Deutschland. Und VW tut sich schwer mit dem Umsteuern, weil Diess zwei getrennte Welten für Elektro- und Verbrennermodelle geschaffen hat – inklusive reiner Elektrofabriken, die jetzt wenig zu tun haben. Plug-in-Hybride, die Kombination aus Verbrennungs- und Elektromotor, galten unter Diess als kurzlebiger Übergang. Jetzt sind sie wieder gefragt, und VW hat zu wenig im Angebot.
Und dann ist da ein Viertens – kein Gegenwind, eher Ballast: In den vielen Optimierungsrunden, die VW über die Jahre schon absolvierte, standen Verbesserungen oft nur auf dem Papier. Es wurden formal Stellen abgebaut, aber die Belegschaft schrumpfte unterm Strich trotzdem nicht. Den deutschen Werken wurden Auslastungen garantiert, die der Markt nicht hergab. Und stets – auch jetzt wieder – wird eine Verbesserung des Produktmixes angenommen: Man will teurere, gewinnträchtigere Autos verkaufen. Das ist nicht ganz leicht, wenn die Konjunktur lahmt und Neuheiten in der Modellpalette fehlen.
So kommt es, dass Blume und Schäfer das Unternehmen jetzt mit der maximalen Drohung konfrontieren. Entlassungen und Werkschließungen in Deutschland – das war seit der Viertagewoche undenkbar.