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Der Stadtpendler muss aufs Land

MOTORRAD testet die Pendel-Qualitäten des BMW CE 04 mit extremen Strecken. Ein Erfahrungsbericht über 1.100 Kilometer.

Der Stadtpendler muss aufs Land

In diesem Artikel:

Lebensziel: Einmal in der Gaußschen Normalverteilung ganz rechts stehen. Bei den Wenigen, die sich weit über den Durchschnitt setzen. Bei Intellekt oder Verdienst oder der Menge an Kopfhaar im Alter – gerne in Kombination. In keiner dieser Kategorien liege ich über dem Schnitt. Ich liege einzig bei der täglichen Pendelstrecke darüber. Weit darüber, um den Faktor 4,75. Im Schnitt ist die einfache Pendelstrecke in Deutschland 16 Kilometer lang, bei mir sind es 73. Perfekt, um elektrische Antriebe auf die Probe zu stellen. 1.100 Kilometer muss der BMW CE 04 zeigen, was er kann.

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BMW CE 04 Überlandfahrt

Die einfache Pendelstrecke beträgt 73 Kilometer, keine Autobahn. Gute 60 Kilometer nur Landstraße über Bundes- und Kreisstraßen mit ordentlich Höhenmeter dazwischen. Der Rest wird in Stuttgart zurückgelegt. BMW gibt für den CE 04 nach WMTC-Zyklus eine Reichweite von 130 Kilometern an, wobei der Zyklus einen höheren Anteil Stadt hat. Ich gehe bei diesen Angaben von 75 bis 80 Prozent Reichweite bei meinem Fahrprofil aus. Sprich gute 100 Kilometer müsste der CE 04 auf meiner Strecke kommen. Genug Reserve für Umleitungen oder Ähnliches. Soweit die Theorie.

Beim ersten Mal tat’s noch weh

Die erste Fahrt von Stuttgart nach Hause. Ladeanzeige bei 99 Prozent, 100 Kilometer Reichweite. Im Eco-Modus wohlgemerkt. In den drei Modi, die mehr Leistung freigeben, sinkt die Angabe im Stand schon beunruhigend nahe der bevorstehenden Strecke. Nach den teils traumatisierenden Erlebnissen mit dem Seat Mó ein Jahr zuvor, starte ich verhalten. Keine Ampelsprints, kaum Überholen, Tempolimit eingehalten. Trotzdem komme ich mit knappen 10 Kilometern Restreichweite oder 11 Prozent Ladung an. So wird das nix mit dem CE 04 und mir und selbst die Panoramastrecke mit vielen Kurven zur Qual, denn der CE 04 kann mehr. Und zeigt das in den nächsten Tagen.

Wir gewöhnen uns aneinander

Das erste Laden in der heimischen Garage mit dem 2,3-kW-Lader ist komfortabel gestaltet. Gleich nach dem Verbinden mit der 230-Volt-Steckdose schaltet das Cockpit auf die Ladeanzeige um, informiert über den fließenden Strom in Ampere und errechnet gleich noch einen Zeitpunkt bis 100 Prozent Ladezustand. Überraschung: Am nächsten Morgen stehen 100 Prozent für 118 Kilometer Reichweite, also gut 18 Prozent mehr Reichweite. Noch anstrengend: Das Bremsmoment des Motors, die Rekuperation bremst enorm, und zwar so enorm, dass Bergabfahrten im Stillstand am Hang enden. Ich möchte die vielen Hügel im Kraichgau so nicht befahren, sondern mit einem dauerhaften Bremsmoment und somit wenig Ladeleistung das Gefälle hinter mir lassen. Ohne Bremse. Dazu benötigen der CE 04 und ich noch einige Fahrten. Es geht zwar, doch man braucht dafür eine sensible rechte Hand.

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Tolles Cockpit

Viel Hilfe leistet beim Steuern der Kilowatt in unterschiedliche Richtungen das breite Cockpit. In einem Halbkreis mit vielen Segmenten zeigt das TFT-Display des BMW die Motorleistung und Ladeleistung beim Bremsen an und schürt das Gefühl, jedes Newtonmeter Dreh- oder Bremsmoment einzeln steuern zu können. Doch einfach ist das Steuern nie, in jedem Fahrmodus ist das Bremsmoment zu hoch, und leider fehlt ein Tempomat, der genau das leisten könnte. Dieses Update für den CE 04 darf von BMW ruhig folgen und könnte das Fahren und Sparen von Strom deutlich entspannen.

Länge läuft beim CE 04

Die Fahreigenschaften und die Geometrie des BMW CE 04 sprechen nicht für ein urbanes, rein innerstädtisches Konzept. Mit einem Radstand von 1.675 Millimetern stehen die Radachsen weiter voneinander als beim Supertourer K 1600 GTL (1.618 mm) und nur wenig näher als bei der Honda Gold Wing (1.695 mm). Entsprechend überzeugt der CE 04 in der Stadt als Hauptrevier beim Ampel-Slalom nicht. Ganz im Gegenteil. Mit dem langen Radstand kommt ein langer Nachlauf von 120 Millimetern. Der führt in Kombination mit dem breiten Reifen vorn (120/70) mit kleinem Raddurchmesser (15 Zoll, ca. 38 Zentimeter) zum Einklappen der Front beim Rangieren ab einem bestimmten Lenkwinkel. Das schreckt wirksam ab, durch den Verkehr zu schlängeln. Außerhalb der Ortschaften wandelt die Geometrie das Bild. Satt, verlässlich, verbindlich fährt der CE über das Land. Die brachiale Betriebsbremse von Bybre passt perfekt zur hohen Stabilität – oder umgekehrt. Einzig die grippigen Knubbelreifen von Pirelli benötigen einige Kräfte zum flotten Einlenken, was von 231 Kilo Fahrzeuggewicht verstärkt wird. Die einfachen Federelemente sind nicht harmonisch abgestimmt. Was der Gabel an Vorspannung fehlt, hat das Federbein zu viel. Die Dämpfung ist jeweils gut getroffen.

Wenig Platz im CE 04

Die größte und unangenehmste Überraschung des CE 04 ist: Trotz schierer Ausmaße bietet der Roller erschreckend wenig Platz und fast noch weniger Komfort. Mit 1,88 Metern Körperlänge und der im Komfort-Paket enthaltenen Sitzbank Backrest I verkrampfen Beine und Rücken schnell, da der Steiß direkt auf dem kleinen Hügel der beheizbaren Sitzbank ruht. Zwar sind mehrere Sitzpositionen nutzbar, doch gemütlich wird es nie. Kein Vorteil: die schmale Sitzbank mit nur 780 Millimetern Sitzhöhe. Allerdings: “Wer schön sein will, muss leiden.”

1.100 Kilometer pendeln

Es zeichnete sich bereits ab: Die Einzelstrecken von 73 Kilometern und die Gesamtstrecke von knapp über 1.100 Kilometer sind und waren kein Problem für den BMW CE 04. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 54 km/h verbrauchte der CE 04 im Schnitt 9 kWh/100 Kilometer und damit mehr als die homologierten 7,7 kWh. Wichtig: Meine Strecke führt über viele Höhenmeter und von 73 Kilometern gut 60 über Land. Daher geht der Mehrverbrauch in Ordnung. Die Strecke offenbarte noch einen sehr interessanten Punkt, der nicht allein beim CE 04 steht: Die Rekuperation ist vernachlässigbar. Zwar gibt sie eine gewisse “Sicherheit” für die Reichweite, doch selbst mit engem Fokus auf das optimale Ausnutzen lud der Motor über 1.100 Kilometer nur 6,9 kWh nach, also nicht ganz eine Ladung. Das weckt den Wunsch nach einem Segelmodus, den der Vorgänger C evolution noch bot. Der Herbst und Winter 2022 waren recht warm, daher war die niedrigste Temperatur am Morgen nur 5 Grad Celsius. An der Kapazität hat sich rein von den Zahlen her nicht verändert und der Verbrauch nach den 73 Kilometern war fast exakt auf dem bekannten Niveau von 9 kWh/100 Kilometer. Interessant jedoch: Das Thermomanagement des CE 04 regelt bei sehr kaltem Akku die maximal abrufbare Leistung deutlich herunter, allerdings als Reaktion auf den Gasgriff. Viel Gas drosselt viel. Erkennbar im Cockpit, wenn in Halbkreis für die Leistung ein orangener Balken von oben als runterfährt. Den gleichen Effekt ruft wenig Restkapazität von unter 20 Prozent hervor, allerdings mit einer fixen Drossel der Leistung.

Stilikone BMW CE 04

Und schön – so viel Meinung sei erlaubt – ist der CE 04 von BMW. Lang, flach, schmal, mit großen Flächen, Kanten und feinen Akzenten duckt sich der Roller auf die Straße. Wirkt dabei wie eine Designstudie ohne jede Chance auf die Serienfertigung. Doch BMW wagt mit dem CE 04 ein Design, was derzeit seinesgleichen sucht und noch lange suchen wird. Mut steht dem CE 04 optisch und technisch in das kurvenbeleuchtende LED-Gesicht geschrieben. Optik und Technik wollen bezahlt werden. Knapp 15.000 Euro kostet der Test-Roller. Mit allen Paketen. Sitzheizung, Griffheizung, Schnelllader, Hauptständer, Reifendruckkontrolle und Sonderlack erhöhen den Basispreis von 12.950 Euro auf über 15.300 Euro.

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Ein Elektroroller für’s Pendeln und den Stadtverkehr kann ich mir vorstellen.

Ein kleines, wendiges Elektromopped macht bestimmt Spaß.

Gar keins.

Fazit

Wer ein elektrisches Pendelfahrzeug auf 2 Rädern sucht und maximal 50 Kilometer einfache Strecke vor sich hat, dem sei der BMW CE 04 ans Herz gelegt. Die Technik ist reif, fehlerfrei und hervorragend auf den Einsatz abgestimmt. Reichweitenangst pariert der CE 04 aus dem Handgelenk, und mit dem optionalen Schnelllader sind Ladezeiten bei halber Ladung knapp unter einer Stunde möglich. Jedoch: Wer die 1,85 Meter Körperlänge erreicht oder überragt, wird den CE 04 für den geringen Fahr- und Sitzkomfort tadeln. Der Windschutz ist außerorts nicht vorhanden, die Sitzbank baut schmal, liegt tief und ist hart. Kühne Rechner kommen bei maximal ausgestatteten 15.000 Euro recht schnell an die Grenze der Vernunft.

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