Der deutsche Ladeinfrastrukturhersteller Compleo Charging Solutions wird aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit kurzfristig Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung stellen. Der Vorstand sieht „die positive Fortführung des Unternehmens nicht mehr als überwiegend wahrscheinlich an“.
Die Insolvenzanträge werden für die Compleo Charging Solutions AG und die Compleo Charging Technologies GmbH gestellt. Die übrigen Tochtergesellschaften seien derzeit nicht von der Antragsstellung betroffen. Das Unternehmen soll im Rahmen des Insolvenzverfahrens unverändert von CEO Jörg Lohr und CFO Peter Hamela fortgeführt werden.
Der neu formierte Vorstand mit Jörg Lohr an der Spitze und Peter Hamela als CFO ist erst seit sechs Wochen aktiv. In einem ausführlichen Interview mit electrive.net hatte Lohr bereits im November die großen Baustellen adressiert, etwa das viel zu große Produktangebot des Unternehmens, welches über die Zeit entstanden ist. Seine Strategie sieht vor, das Angebot radikal auszudünnen und auf fünf Produktfamilien mit jeweils fünf Modellen zu beschränken. Da es für einige der (Stand November 2022) 347 aktive Artikelnummern bei Compleo kein Ersatzteil- und Servicekonzept gab, räumte Lohr in dem Interview ein, dass es „schon negative Auswirkungen auf den Ruf der Compleo Gruppe“ hatte.
Produktion soll weiter laufen
Wie Jörg Lohr angibt, soll die Produktion der Ladestationen wie geplant weiterlaufen. „Wir zielen darauf ab, die seit Wochen angeschobenen Restrukturierungsprozesse weiter voranzutreiben, um den Fortbestand des Unternehmens sowie den Erhalt der Arbeitsplätze abzusichern“, so Lohr. „Wir hätten kurz vor den Festtagen gerne eine andere Nachricht übermittelt. Leider ist uns dies angesichts des zu kurzen Zeitfensters nicht gelungen.“
Dennoch blickt der Compleo-CEO zuversichtlich auf das anstehende Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung: „Wir sind aber zuversichtlich, dass wir im neuen Jahr die nötigen Finanzierungen erhalten. Es braucht nur etwas mehr Zeit“, so Lohr.
Compleo war im Oktober 2020 zu einem Ausgabepreis von 49 Euro je Aktie an die Börse gegangen. Zwischenzeitlich lag der Kurs bei 113 Euro, ist seit dem Rekordhoch im September 2021 aber stetig gesunken. Nach dem Kurssturz am Montagabend notierten die Papiere im nachbörslichen Handel noch bei 1,12 Euro.
Die Einnahmen aus dem Börsengang wurde unter anderem in Übernahmen investiert, so hat das mittelständisch geprägte Compleo nicht nur das Startup Wallbe, sondern auch das große innogy eMobility Solutions übernommen. Diese Zukäufe haben zwar auf dem Papier für Wachstum gesorgt, waren aber auch nicht ohne Probleme: Zum einen verfügte man nun über drei konkurrierende Wallbox-Produktlinien (die von Compleo selbst entwickelte Solo-Linie wurde bereits wieder vom Markt genommen), sondern es prallten auch unterschiedliche Unternehmenskulturen aufeinander.
Klar ist bereits: Die beiden übernommenen Wallbe-Werke werden zum Jahresende geschlossen. Die gesamte Lade-Branche hat Compleo zudem mit dem Vorstoß aufgebracht, zwei von innogy übernommene Patente per Lizenz kommerzialisieren zu wollen – Patente, die bisher jeder stillschweigend nutzen konnte.
compleo-charging.com (Mitteilung), deraktionaer.de (Aktienkurs)