Mit Chery steht der nächste Autohersteller aus China vor der Tür. Europachef Tüting erklärt, warum die Offensive mit drei Marken startet.
Aiways, BYD, MG, NIO, Ora, Wey, XPeng, Zeekr – immer mehr chinesische Autohersteller drängen auf den europäischen Markt. Und mit Chery International steht bereits der nächste Automobilkonzern aus Fernost vor der Tür. Die erst vor 25 Jahren gegründete teilstaatliche Unternehmensgruppe aus Wuhu in der chinesischen Provinz Anhui startet noch in diesem Jahr in Spanien – und bereitet den Markteintritt in Deutschland vor. Im Gegensatz zu den meisten chinesischen Konkurrenten, die in der EU ausschließlich vollelektrische Fahrzeugen anbieten, will Chery mit seinem Fahrzeugangebot einen breiten Mix an Antriebstechniken bieten. Warum, erklärt Europachef Jochen Tüting im Gespräch mit EDISON.
Herr Tüting, mit Chery kommt der nächste chinesische Autohersteller nach Deutschland. Wann werden wir die ersten Fahrzeuge auf unseren Straßen sehen?
Wir sind schon auf Europas Straßen unterwegs – nur nicht in Deutschland. Derzeit kümmern sich in unserem Entwicklungszentrum in Raunheim bei Frankfurt etwa 50 Mitarbeiter um die Adaption der Fahrzeuge für den hiesigen Markt. Das Auto soll schließlich nicht nur funktionieren, sondern auch die Erwartungen der europäischen Kunden erfüllen, die andere sind als in China.
Jochen Tüting Der 49-jährige Maschinenbau-Ingenieur begann seine berufliche Laufbahn bei Ford in Köln, wo er zwischen Mai 2000 und September 2013 unter anderem in der Fahrzeugentwicklung tätig war.Ende 2013 wechselte er ins Technik-Zentrum von Chery nach Shanghai, wo er sich unter anderem um die Qualitätssicherung und den Prototypenbau kümmerte. Seit 2018 ist er Managing Director der Chery Europe GmbH mit Sitz in Raunheim. In unmittelbarer Nähe des Frankfurter Flughafens bereitet er mit einem Team aus Designern, Entwicklern und Marketingstrategen die Europa-Offensive von Chery vor.
Das heißt, Sie müssen die Fahrzeuge erst noch einmal nachbessern, damit sie verkaufsfähig sind?
Adaptieren – das sind die Hausaufgaben, die wir noch zu erledigen haben. Es geht dabei beispielsweise um die Anpassung der Assistenzsysteme an die Verhältnisse auf Europas Straßen oder Tuning der Fahrdynamik.
Und wann sind Sie damit durch, wann kommen die Autos in den Handel?
Im nächsten Jahr. Unser erstes Auto, der Omoda 5, ist bereits komplett homologiert und hat auch im Euro-NCAP-Crashtest fünf Sterne bekommen. Der ist prinzipiell fertig, braucht nur noch etwas Feintuning. Wir werden aber vermutlich noch dieses Jahr erste relevante Verkaufszahlen in Spanien sehen. Der Verkaufsstart in Deutschland wird dann voraussichtlich im zweiten Quartal nächsten Jahres erfolgen.
Warum starten Sie ausgerechnet in Spanien?
Wir kommen mit einem relativ breiten Portfolio an Marken, Modellen und auch Antrieben nach Europa. Wir fokussieren uns auf die neuen Marken Omoda und Jaecoo. Omoda positionieren wir im Crossover-SUV-Segment, Jaecoo im offroadigeren Bereich. Omoda ist jünger und technologischer, Jaecoo reifer und eleganter. Chery ist ein Volumenhersteller. Und wir kommen nach Europa auch mit der Absicht, relevante Stückzahlen zu verkaufen. Deshalb werden wir antriebstechnisch breit daher kommen, mit reinen Verbrennern, Fahrzeugen mit Hybridantrieb bis hin zu vollelektrischen Autos. Und wir werden Fahrzeuge in verschiedenen Größen anbieten, vom B plus bis zum D-Segment alles abdecken.
Elektrische Speerspitze Der Omoda 5 wird in Spanien zunächst nur als Benziner angeboten. In Deutschland wird der 4,40 Meter lange SUV etwas später auch mit Elektroantrieb verfügbar sein, mit 63 kWh-Akku und zu Preisen knapp unter 40.000 Euro. Fotos: Chery
Also von Kompaktautos bis zu Fahrzeugen der Oberklasse?
Richtig. Vor dem Hintergrund ist der spanische Markt für uns aus verschiedenen Gründen sehr interessant. Die Kundschaft dort ist sehr offen für neue Marken. Und in Südeuropa ist die Ladeinfrastruktur für Elektroautos noch nicht so gut ausgebaut wie im Norden. Deshalb wird das erste Fahrzeug, das wir in Spanien anbieten, der Omoda 5 als Benziner sein. Das ist ein gutes Fahrzeug für erste Erfahrungen in Europa. Und bei den Händlern in Spanien haben wir auch offene Türen vorgefunden.
Das war in Deutschland nicht der Fall?
Durchaus. Wir führen eine Vielzahl von Händlern und Händlergruppen über potenzielle Partnerschaften, sind aber noch nicht an dem Punkt, dass wir Namen nennen können. Es gibt viel Interessen speziell bei Multimarken-Gruppen, die erkannt haben, dass chinesische Autobauer in Europa künftig eine bedeutende Rolle spielen werden. Zudem gibt es traditionsreiche Handelsgruppen, die bislang eng an einen Hersteller gebunden waren, wegen der vielen Umstrukturierungen im Händlernetz mancher Hersteller jetzt die Notwendigkeit zur Risikostreuung über neue Marken sehen.
„In Deutschland werden wir den Vertrieb in die eigenen Hände nehmen.“
Es heißt, die Emil-Frey-Gruppe könnte Partner von Chery werden – mit Ora und Great Wall Motor hat die bereits Verbindungen nach China.
Die Emil-Frey-Gruppe ist für jeden immer ein guter Ansprechpartner, aber wir werden uns im Vertrieb voraussichtlich auf eine Vielzahl von Händlergruppen stützen, auch eigene Vertriebsorganisationen aufbauen. In Deutschland werden wir beispielsweise keinen Importeur nutzen, sondern den Vertrieb in die eigenen Hände nehmen, wie in acht anderen europäischen Hauptmärkten auch. In kleineren Ländern Europas aber ist das durchaus eine denkbare Variante.
Werden Sie in Deutschland eine ähnliche breite Antriebsstrategie fahren wie in Spanien – oder gleich mit Elektroautos starten?
Eine ähnliche – wegen der sukzessiven Verfügbarkeit von Modellen und Antrieben. In Spanien werden wir Ende des ersten Quartals 2024 auch die batterielektrische Variante des Omoda 5 im Angebot haben. Im Sommer, voraussichtlich im Juni, planen wir dann die Markteinführung des Jaecoo 7, der dann sowohl als Verbrenner als auch als Plug-in Hybrid verfügbar sein wird. In Deutschland können wir dann zum Ende des zweiten Quartals mit zwei Modellen und vier Antriebsvarianten starten.
Warum macht es sich Chery so schwer? Ein zeitgleicher Start mit zwei Marken bedeutet doch einen enormen Vertriebs- und Marketingaufwand. Und Anfang 2025 kommt ja dann mit Exlantix noch eine dritte Marke hinzu.
Exlantix Sterra ES Mit 800-Volt-Bordnetz und 700 Kilometer Reichweite soll die 4,95 Meter lange Elektro-Limousine ab 2025 auch in Europa auf Kundenfang gehen. Konkurrenten sind unter anderem das Model S von Tesla, aber auch der BMW i5 und der Mercedes EQE.
Da haben Sie recht: Die Komplexität der Aufgabe ist nicht gering. Aber Omoda 5 und Jaecoo 7 launchen wir unter dem Omoda-Dach, also mit einer Vertriebsorganisation. Und die Autos werden auch in einem gemeinsamen Showroom beim Händler stehen.
Wo sehen Sie die beiden Marken im europäischen Wettbewerb? Wer sind die Haupt-Wettbewerber?
Die Menschen, die unsere Autos schon gefahren sind, berichten, dass sie sich wie in Fahrzeugen der Premiumklasse gefühlt haben. Wir positionieren uns ganz klar als Volumenhersteller, bieten aber gleichzeitig von der Optik und Ausstattung mehr als normalerweise in der Klasse zu erwarten ist. Auch bei den Themen Sicherheit und Qualität sehe ich Omoda und Jaecoo absolut auf Augenhöhe mit unseren europäischen und koreanischen Wettbewerbern, was durch ein 5-Sterne Rating für den Omoda 5 im EURO-NCAP-Test und herausragende JD Power-Ergebnisse von Chery in China unterstrichen wird.
„Wir werden uns nicht als Billigmarke positionieren.“
Tüting über die Rolle von Chery auf dem Euopäischen Automarkt
Versuchen Sie, auch über den Preis Kunden zu gewinnen?
Wir gehen auch über den Preis, ja. Aber wir werden uns nicht als Billigmarke positionieren. Dafür bieten die Fahrzeuge zu viel. Der Omoda 5 ist mit einer Länge von 4,40 Metern mit einem Hyundai Kona vergleichbar und kommt mit einem 1,6 Liter Turbobenziner, 186 PS und einem 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe sowie einer Reihe technischer Finessen. Starten wird er trotzdem deutlich unter 30.000 Euro.
Und die Version mit Elektroantrieb?
Da werden wir bei der Version mit 63 kWh-Akku und über 400 Kilometer Reichweite immer noch unter der Schwelle von 40.000 Euro bleiben.
Exlantix wird dann aber nur vollelektrisch angetriebene Fahrzeuge anbieten?
Feintuning in Raunheim In unmittelbarer Nähe zum Frankfurter Flughafen hat Chery sein Entwicklungszentrum eingerichtet. Dort kümmern sich derzeit etwa 50 Designer und Ingenieure um die Adaption der Import-Fahrzeuge für den hiesigen Markt.
Welche Stückzahlen peilen Sie überhaupt an?
Mittel- bis langfristig würden wir gerne da stehen, wo Hyundai/Kia heute sind.
Das sind ja durchaus ambitionierte Ziele: Die Gruppe hat 2022 in Europa knapp 850.000 Pkw abgesetzt. Und kam damit auf einen Marktanteil von 9,2 Prozent.
Na ja, wir sind auch sehr dynamisch unterwegs: Chery hat im vergangenen Jahr weltweit 1,2 Millionen Autos verkauft und wird dieses Jahr über 1,8 Millionen Fahrzeuge absetzen , davon mehr als 50% im Export.
Inwieweit können Sie Einfluss auf die technische Ausstattung der Autos nehmen? Elektroautos aus China glänzen derzeit in Europa nicht mit hohen Ladeleistungen bzw. kurzen Ladezeiten.
Um hohe Ladeleistungen zu erzielen, braucht es eine 800-Volt-Architektur. Mit den ersten Fahrzeugen von Omoda und Jaecoo werden wir die noch nicht bieten können. Die Exlantix-Fahrzeuge werden es aber auf jeden Fall haben. Wir haben eine sehr enge Kooperation mit dem Batteriehersteller CATL und damit auch Zugriff auf die neuesten Akkutechnologien. Wir werden deshalb sehr hohe Ladeleistungen bieten und auch große Reichweiten.
„Mittelfristig würden wir gerne da stehen, wo Hyundai/Kia heute sind.“
Tüting zu den Absatzzielen von Chery in Europa
Was heißt große Reichweite?
Da reden wir von über 700 Kilometern für Europa, nach chinesischem Testzyklus liegen wir bei 900 Kilometer. Im Augenblick sehen wir uns auch im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt, was die Effizienz unserer Antriebe anbetrifft. Wir werden deshalb nicht wie andere Hersteller mit 120 kWh-Akkus kommen müssen, um solch große Reichweiten darstellen zu können. Wir reden eher von Akkukapazitäten um die 80 kWh.
Wie lange werden Sie denn überhaupt noch Verbrenner auf dem europäischen Markt anbieten?
Da haben wir uns noch nicht festgelegt. Das hängt sowohl von den regulatorischen Vorgaben als auch den Marktbedürfnissen ab.
Dicker Brummer Voraussichtlich im Juni 2024 kommt der allradgetriebene Jaecoo 7 auf den deutschen Markt, sowohl als Verbrenner als auch als Plug-in Hybrid. Sowohl Range Rover als auch der Stellantis-Tochter Jeep könnte der „Jäger“ gefährlich werden.
Also spätestens 2036.
Wirklich?
Ja. Ich habe das Gefühl, dass der Bedarf in Europa deutlich unterschätzt wird: Denn die Kunden sind bei weitem noch nicht so weit, wie es die Politik und manche Wettbewerber gerne hätten. Die Dynamik der Bestellungen für Elektrofahrzeuge hat deutlich nachgelassen. Die Early Adopters haben sich mit Stromern eingedeckt. Heute sind es in erster Linie die Regulatorik der EU und nationale Förderprogramme, die die Nachfrage unterstützen. Da wäre es für uns sehr riskant, zum jetzigen Zeitpunkt allein auf batterieelektrische Autos zu setzen. Wir werden deshalb noch eine ganze Weile Autos für Normalverdiener anbieten, die sich diese leisten können und die ihren Anforderungen genügen.
„Die Kunden sind bei weitem noch nicht so weit, wie es die Politik und manche Wettbewerber gerne hätten.“
Tüting zum schächelnden Absatz von Elektroautos
Europa diskutiert derzeit eine Strafsteuer für hochsubventionierte Elektroauto-Importe aus China. Bereitet Ihnen das Sorge?
Wir gucken uns das natürlich an. Aber es bestätigt uns eher in unserer Marktphilosophie.
Inwiefern?
Chery ist seit 20 Jahren der größte Autoexporteur aus China. Wir sind heute in über 80 Märkten weltweit präsent. Und überall, wo wir auf relevante Volumen kamen, haben wir eine lokale Fertigung aufgezogen. In einigen Fällen als reine Endmontage, in anderen Fällen eine komplette Produktion mit hoher Fertigungstiefe. Das werden wir in Europa nicht anders machen: Sobald wir gewisse Volumina erreichen, werden wir über eine lokale Fertigung nachdenken.
Gibt es dazu schon konkrete Überlegungen, auch was mögliche Standorte anbetrifft?
Konkret noch nicht. Aber wir werden im kommenden Jahr sicher an einen Punkt kommen, an dem wir unsere Planzahlen mit dem Absatz abgleichen zu können. Sobald das der Fall ist, gibt es zwei Varianten: Wir schauen uns an, welche Bestandswerke übernommen werden könnten. Da ist ja einiges vorhanden in Europa…
…wie das Ford-Werk im Saarland…
…zum Beispiel. Aber Alt-Werke haben sowohl Vor- als auch Nachteile. Es gibt auf der einen Seite eine eingespielte Belegschaft, mit der sehr schnell eine Produktion gestartet werden kann. Es gibt zudem eine Zuliefererlandschaft und eine funktionierende Logistik. Das ist alles vorteilhaft.
„Man muss sich auch immer fragen, warum sich ein Fahrzeughersteller von einem Werk verabschiedet.“
Tüting zu einer möglichen Übernahme des Ford-Werks SaaRlouis
Aber?
Man muss sich auch immer fragen, warum sich ein Fahrzeughersteller von einem Werk verabschiedet. Und was es kostet, ein jahrzehntealtes Werk so umzubauen, dass man heutige Fertigungsverfahren und -Technologien effizient nutzen kann. Wenn man im Grunde nur über eine große Fertigungshalle spricht, dann ist ein Neubau auf der grünen Wiese trotz einer höheren Investitionssumme und längerer Anlaufzeiten die günstigere Alternative.
Die Diskussion über die Strafsteuer für China-Importe schreckt sie also nicht?
Nein. Die aktuelle Diskussion, die von der EU-Kommission angestoßen wurde, ist im Übrigen nur auf Elektroautos bezogen. Wir hingegen kommen nicht nur mit Elektroautos, sondern mit der gesamten Palette inklusive Verbrennern, für die es in China keinerlei staatliche Subventionen gibt. Wir haben 25 Jahre Automobilerfahrung und eine gute Lieferkette in China, die uns helfen, Fahrzeuge kostengünstig zu produzieren und anzubieten. Das auf staatliche Subventionen zurückzuführen, wäre falsch.