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Analyse: So schlecht steht es um die deutsche Autoindustrie

Jahrzehntelang war die Autoindustrie Deutschlands Vorzeigebranche Nummer eins – technisch führend, mit Design, das Maßstäbe setzte, und Produkten, die auch international oftmals zu den klassischen Statussymbolen zählten. Aber die Zeiten haben sich schon lange geändert. Die deutsche Autoindustrie steckt in der Krise. Die jüngsten Verwerfungen bei VW, wo Werksschließungen oder ein Aufkündigen der Beschäftigungssicherung keine Tabus mehr zu sein scheinen, sind dabei nur Symptome für den tiefgreifenden Wandel in Deutschlands Schlüsselindustrie. Die lange erfolgsverwöhnte Branche steht vor zahlreichen Herausforderungen. Einige sind hausgemacht, einige liegen bei der Politik, aber auch bei Konjunktur und Wettbewerb.

Die Lage in Zahlen

Nicht nur in Deutschland schwächelt die Konjunktur, sondern weltweit. Das trifft die exportorientierte heimische Autobranche besonders. Die größten internationalen Konzerne kämpfen mit sinkenden Absätzen und Gewinnspannen.

In der ersten Jahreshälfte 2024 sackte insbesondere das Ergebnis ab: Zusammengenommen machten Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz von Januar bis Juni einen operativen Gewinn (Ebit) von 25,9 Milliarden Euro. Das waren laut einer Analyse der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY insgesamt 18 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Eine schnelle Verbesserung zeichnet sich vorerst nicht ab. „Angesichts hoher Investitionen in Elektromobilität, Lieferproblemen bei Komponenten, problematischen Modellwechseln und Rabattaktionen werden die Gewinne noch weiter unter Druck geraten“, sagt Constantin Gall, Mitglied der Geschäftsführung von EY.

Absatz von E-Autos rückläufig

Viele Milliarden haben die Autohersteller in den vergangenen Jahren in die Transformation zur Elektromobilität investiert. Allein der US-Konzern Ford ließ sich die Umrüstung des Kölner Werks zwei Milliarden Dollar kosten. Künftig laufen hier mit den Modellen Explorer und Capri ausschließlich Stromer vom Band. Eine wirkliche Wahl hatten die Autokonzerne nicht, denn die EU machte in Folge des Pariser Klimaabkommens ernst und beschloss ein faktisches Aus für den Verbrenner ab 2035. Wer nicht mitzieht, dem drohen empfindlich hohe Strafen.

Anfangs zogen aber vor allem die Kunden mit. Auch dank staatlicher Förderung legte die Zahl der verkauften E-Autos von Quartal zu Quartal zu. Nach der langanhaltenden Euphorie folgt mit dem Ende der Förderprämie nun offenbar Ernüchterung. Nach den neuesten Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) wurden im August 2024 rund 69 Prozent weniger Elektroautos neu zugelassen als im August des Vorjahres. Vermehrt entscheiden sich die Kunden doch wieder für Verbrenner. Aber auch hier geht die Nachfrage zurück. Bei Autos mit Dieselmotoren lag das Minus bei 24,4 Prozent, bei Autos mit Benzinmotoren bei 7,4 Prozent. Über alle Antriebsarten hinweg liegt das Minus bei 27,8 Prozent.

Schwache Konsumlaune trifft auf fehlende Förderung

Für die anhaltende Absatzschwäche in Deutschland gibt es aus Galls Sicht mehrere Gründe: „Die deutsche Wirtschaft kommt nicht in Fahrt, die Konsumbereitschaft und Investitionslaune bei Privatleuten und Unternehmen ist sehr schwach ausgeprägt“, so der Branchenexperte. Geopolitische Spannungen und kriegerische Auseinandersetzung drückten zudem auf die Stimmung. Mit Blick auf den Absatz von E-Autos habe es allerdings auch Vorzieheffekte wegen der auslaufenden Förderung gegeben.

analyse: so schlecht steht es um die deutsche autoindustrie

Pkw-Produktion in Deutschland KStA-Grafik/dpa

Die deutschen Zahlen sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Verbrenner in vielen Ländern auf dem Rückzug ist. „Wir blicken oft nur auf Deutschland. Aber in ganz Europa steigen die Zahlen der E-Autos – wenn auch langsamer als zuvor“, sagt Benjamin Gruschka, Gesamtbetriebsratschef von Ford Europa und Deutschland. In Norwegen etwa seien 94 Prozent der Neuzulassungen Stromer. Und auch in China, dem größten Pkw-Markt der Welt, erodieren die Verkäufe von Benzinern – auch dank üppiger staatlicher Unterstützung für Elektro-Modelle.

Fehler sind auch hausgemacht

„Die Stimmung in der Autoindustrie ist im Sturzflug“, sagt Anita Wölfl vom Münchener Ifo-Institut. Grund dafür sind die äußerst pessimistischen Erwartungen für die kommenden sechs Monate. „Die Unternehmen der deutschen Autoindustrie leiden unter einem Mangel an neuen Aufträgen – insbesondere aus dem Ausland“, sagt die Branchenexpertin. „Dies schlägt sich mittlerweile auch in der Personalplanung nieder.“ Insgesamt habe die deutsche Autoindustrie bei der Elektromobilität sehr spät reagiert, sagt Branchenexpertin Wölfl. Denn lange hatte man in den deutschen Konzernzentralen Pioniere wie Tesla und später auch die ersten chinesischen Hersteller nicht ernst genommen. Mittlerweile verdrängen die neuen chinesischen Hersteller ihre westliche Konkurrenz zunehmend.

Es ist nicht die erste Krise, durch die die Automobilindustrie durch muss.

Anita Wölfl, Ifo-Institut

Zudem, so Ifo-Expertin Wölfl, mache es einen Unterschied, ob sich ein komplett neues Unternehmen voll auf den Elektroantrieb konzentrieren könne oder ein traditioneller Großkonzern mit Doppelstrukturen von Verbrennern und Stromern arbeiten müsse. Dazu kämen angesichts des starken Wettbewerbs auch andere Themen wie geänderte Kundenerwartungen. In China sei es etwa sehr viel wichtiger, was ein Auto an Info- und Entertainment zu bieten habe.

Politik verunsichert die Kunden

Gleichzeitig wurden auch das wachsende Klimabewusstsein und die Umsetzung durch die Politik unterschätzt. „In vielen Chefetagen wurde nicht damit gerechnet, dass es von Seiten der EU wirklich so kommt“, sagt Ford-Betriebsrat Benjamin Gruschka. Vielleicht sei es aber auch zu schnell gegangen mit dem Übergang von Verbrennern zu E-Autos. „Ein Übergang über Hybride und dann zu reinen Stromern wäre sinnvoller gewesen“, so Gruschka. „Die Politik zeichnet ein sehr unklares Bild und hat damit die Käufer massiv verunsichert. Zuerst der kurzfristige Ausstieg aus der deutschen Förderprämie, dann die Debatte über ein Ende des Verbrenner-Aus auf europäischer Ebene. Das hat auch dazu beigetragen, dass die Kunden sehr viel abwartender geworden sind.“

Dass die Lage ernst ist, ist den Entscheidungsträgern klar: „Die großen Automobilhersteller und ihre Zulieferer sind gute Arbeitgeber für Zigtausende Beschäftigte, Wohlstandsmotor in Regionen quer durch das Land und Innovationstreiber über Branchengrenzen hinweg“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Mehr als 700.000 Arbeitsplätze hängen hierzulande schließlich vom Fahrzeugbau ab. Deshalb will die Ampelkoalition nun neue Kaufanreize setzen. Das Bundeskabinett hat neue Steuervorteile für Dienstwagen mit E-Antrieb auf den Weg gebracht.

Ifo-Expertin Anita Wölfl sieht trotz der schwierigen Lage Hoffnung. „Es ist nicht die erste Krise, durch die die Automobilindustrie durch muss.“ Und es werde auch nicht die letzte sein. In der Vergangenheit habe die Branche sich in Krisen sehr resilient und stark bei Innovationen gezeigt, betont Wölfl.

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